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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth
Autoren: Love Pray Eat
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einem
anderen kollidiere - warnte Rumi -, sei man für das Unglücklichsein
prädestiniert. Es sei besser, man konzentriere sich nur auf eine Sache, lehrte
er. Doch wie steht es mit den Vorzügen eines harmonischen Lebens, das zwischen
zwei Extremen angesiedelt ist? Wie wäre es, wenn man sein Leben so expansiv
leben könnte, dass scheinbar unvereinbare Gegensätze in einer einzigen, nichts
ausschließenden Weltsicht zusammenfänden? Meine Wahrheit lag in genau dem, was
ich dem Medizinmann auf Bali gesagt hatte: Ich wollte beides erfahren.
Ich wollte weltlichen Genuss und göttliche Transzendenz - den doppelten
Triumph eines menschlichen Lebens. Ich wollte, was die Griechen als kalòs kai agathòs bezeichneten, die einzigartige Balance von Gutem und Schönem. Während
dieser letzten schweren Jahre hatte es mir an beidem gefehlt, weil sowohl
Vergnügen als auch Hingabe einen stressfreien Raum erfordern, um zu gedeihen,
und mein Leben von unaufhörlicher Angst beherrscht war. Wie man nun das Streben
nach Genuss mit der Sehnsucht nach Hingabe in Einklang brachte ..., nun ja, es
war doch sicher möglich, den dafür nötigen Trick zu erlernen. Und nach meinem
Kurzbesuch auf Bali schien mir, als könnte ich das möglicherweise von den
Balinesen lernen. Vielleicht sogar vom Medizinmann selbst.
    Vier Füße am Boden, ein Kopf voller Laubwerk, die Welt mit
dem Herzen sehen ...
    Also hielt ich inne und versuchte, mich zu entscheiden - für
Italien, Indien oder Indonesien. Doch schließlich musste ich mir eingestehen,
dass ich in alle drei Länder nacheinander reisen wollte. Für jeweils vier
Monate. Ein Jahr insgesamt. Natürlich war das schon ein etwas ehrgeizigeres
Vorhaben als »Ich will mir einen neuen Federkasten kaufen«. Aber genau das
wünschte ich mir. Und ich wusste auch, dass ich darüber schreiben wollte. Wobei
es mir weniger darum ging, die Länder selbst zu erforschen; das hatten andere
schon getan. Eher wollte ich jeweils eine Seite meiner selbst in einem Land
erkunden, dessen Kultur sich traditionell besonders gut auf die betreffende
Sache versteht. Ich wollte die Kunst des Genießens in Italien, die Kunst der
Hingabe in Indien und die Kunst, beides miteinander zu verbinden, in Indonesien
studieren. Erst später, als ich diesen Traum zuließ, bemerkte ich den
glücklichen Zufall, dass all diese Länder mit dem Buchstaben »I« beginnen. Ein
ziemlich günstiges Omen, so schien es mir, für eine Entdeckungsreise ins Ich.
    Nun stellen Sie sich einmal vor, welche Gelegenheiten zu
Hohn und Spott diese Idee meinen klugscheißerischen Freunden bot. Ich wollte
also zu den drei »I«. Warum verbrachte ich dann das Jahr nicht im Iran, im
Irak und auf Island? Meine Freundin Susan schlug vor, dass ich eine Non-Profit-Hilfsorganisation
namens »Geschiedene ohne Grenzen« gründen sollte. Doch all diese Witzeleien
waren rein akademisch, solange es mir gar nicht freistand, irgendwohin zu
gehen. Denn die Scheidung kam - obwohl ich meine Ehe längst hinter mir gelassen
hatte - immer noch nicht zustande. Ich hatte begonnen, juristischen Druck auf
meinen Mann auszuüben, ließ anwaltliche Schreiben zustellen, ließ ihn vorladen
und verfasste vernichtende Anklagen (die das Gesetz des Staates New York
verlangt) über seine angebliche mentale Grausamkeit - Dokumente, die keinen
Raum für Subtilitäten ließen, keine Möglichkeit etwa, zum Richter zu sagen:
»Hey, hören Sie mal zu, es war wirklich eine komplizierte Beziehung, auch ich
habe gewaltige Fehler gemacht, und es tut mir sehr Leid, aber ich will ja nur,
dass man mich gehen lässt.«
    (Hier halte ich inne, um ein Gebet für Sie, meine geneigte
Leserin, zu sprechen: Mögen Sie nie, nie in die Lage geraten, sich in New York
scheiden lassen zu müssen.)
    Im Frühjahr 2003 erreichte
die Sache dann den Siedepunkt. Eineinhalb Jahre, nachdem ich gegangen war,
ließ mich mein Mann endlich wissen, was er als Abfindung verlangte. Nämlich:
das Haus, die New Yorker Wohnung, das Geld - alles, was ich ihm von vornherein
angeboten hatte. Aber er forderte auch noch Unterhalt, einen Anteil an meinen
zukünftigen Einnahmen, meinen zukünftigen Tantie men. Und
da musste ich dann schließlich Nein sagen.
Unsere Rechtsanwälte begaben sich in wochenlange Verhandlungen, und am Ende
lag eine Art Kompromiss auf dem Tisch, und es sah aus, als würde mein Mann
diesen abgewandelten Deal akzeptieren. Ich würde teuer dafür bezahlen, aber
eine Auseinandersetzung vor Gericht würde noch unendlich viel
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