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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth
Autoren: Love Pray Eat
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überstand.
     
    1o8
     
    Und jetzt komme ich unter ganz anderen Umständen nach Gili
Meno zurück. Seit ich das letzte Mal hier war, habe ich die Welt umrundet, mich
scheiden lassen, meine letzte Trennung von David überstanden, sämtliche Spuren
stimmungsverändernder Medikamente aus meinem Körper getilgt, eine neue Sprache
gelernt, ein paar unvergessliche Momente lang auf Gottes Hand gesessen und
einer Balinesin, die dringend einer Unterkunft bedurfte, ein Heim gekauft. Ich
fühle mich glücklich, gesund und ausgeglichen. Und, ja, es ist nicht zu
übersehen, diesmal segle ich mit meinem brasilianischen Liebhaber zu dieser
schönen Tropeninsel. Was - zugegebenermaßen - ein fast märchenhaftes Ende für
diese Geschichte ist, ein regelrechter Hausfrauentraum. (Vielleicht sogar mein
eigener Traum von vor einigen Jahren.) Was mich jedoch davor bewahrt, mich
gänzlich in diesem Märchenzauber zu verlieren, ist die unumstößliche Wahrheit,
mit der ich mir während der letzten Jahre wirklich so etwas wie ein Rückgrat
verschafft habe: Nicht ein Prinz hat mich gerettet, sondern ich selbst habe es
getan.
    Bei dieser Gelegenheit kommt mir etwas in den Sinn, das
ich einmal gelesen habe und das Zen-Buddhisten glauben. Eine Eiche, so sagen
sie, werde durch zwei Kräfte gleichzeitig erschaffen. Zum einen natürlich
durch die Eichel, mit der alles seinen Anfang nimmt, durch den Samen, der das
gesamte Potenzial enthält und zu einem Baum heranwächst. Das ist jedem
ersichtlich. Nur wenige aber können erkennen, dass auch noch eine andere Kraft
am Werk ist, nämlich der künftige Baum selbst, den es so unbedingt in die
Existenz drängt, dass er die Eichel ins Sein zieht, der durch seine Sehnsucht
den Sämling aus der Leere zieht und die Evolution aus dem Nichts zur Reife
geleitet. So betrachtet, behaupten die Zen-Buddhisten, sei es die Eiche, welche
die Eichel erschafft, aus der sie entstanden ist.
    Ich mache mir Gedanken über die Frau, die ich in den
letzten Jahren geworden bin, über das Leben, das ich jetzt führe, und wie sehr
ich mir immer gewünscht habe, diese Person zu sein und - befreit vom Drang,
jemand anders zu sein, als ich bin - dieses Leben zu leben. Ich denke an alles,
was ich vor meiner Ankunft auf Gili Meno durchgemacht habe, und frage mich, ob
denn ich es war, ich meine dieses glückliche und ausgeglichene Ich - das jetzt
auf dem Deck dieses kleinen indonesischen Fischerboots döst -, welches das
andere, jüngere, verwirrtere und ringende Ich in all diesen schweren Jahren in
die Zukunft gezogen hat. Das jüngere Ich war die Eichel voller Potenzial, aber
das ältere, die mächtige Eiche, hat andauernd gedrängt: »Ja, wachse! Verändere
dich! Entwickle dich! Komm und triff mich hier, wo ich schon in meiner Reife
und Ganzheit existiere! Du musst ich werden!«
Und vielleicht war es dieses gegenwärtige und voll realisierte Ich, das vier
Jahre lang über jener verheirateten schluchzenden jungen Frau auf dem
Badezimmerboden schwebte, und vielleicht war es dieses Ich, das der verzweifelten
Frau liebevoll ins Ohr flüsterte: »Geh wieder ins Bett, Liz« - weil es bereits
wusste, dass alles gut werden würde, dass uns letztendlich alles an diesen
Punkt führen würde. An diese Stelle und zu diesem Augenblick, wo ich schon immer
ruhig und gelassen gewartet hatte, gewartet auf seine Ankunft.
    Und dann erwacht Felipe. Den ganzen Nachmittag sind wir -
aneinander geschmiegt - an Deck des Fischerboots wieder und wieder eingedöst.
Die Sonne scheint, der Ozean wiegt uns. Felipe erzählt mir, dass ihm, während
ich geschlafen habe, eine Idee gekommen sei. »Ich muss natürlich weiterhin
auf Bali leben«, sagt er, »das weißt du. Meine Firma ist hier, und es ist nicht
weit nach Australien, wo meine Kinder leben. Aber ich muss auch oft in Brasilien
sein, denn da sind die Steine, und ich hab auch Familie dort. Du wiederum musst
naturgemäß die meiste Zeit in New York sein, weil du dort deine Arbeit hast,
weil deine Familie und deine Freunde dort leben. Und deshalb hab ich darüber
nachgedacht ob wir nicht vielleicht versuchen sollten, uns ein Leben aufzubauen,
das sich irgendwie zwischen Amerika, Australien, Brasilien und Bali abspielt.«
    Ich muss lachen, denn ... das ist vielleicht verrückt
genug, um zu funktionieren. Und warum eigentlich nicht? Ein solches
Leben wäre zwar total verrückt, sähe mir aber ungeheuer ähnlich. Schon jetzt
hat es etwas Vertrautes. Kaum, dass er die Idee vorbringt, sehe ich schon vor
mir, wie
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