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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen
Autoren: Heike Schroll
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verraten oder ihr Worte in den Mund zu legen.
Dr. Grede tat so, als mache er sich Notizen.
Judith Brunner beobachtete Hella Singer genau. Sie registrierte, wie sich die Angeschuldigte zu einem Entschluss durchzuringen schien, und war sogar etwas überrascht, als plötzlich ein friedliches Lächeln das Gesicht der Frau erhellte. Es kam von innen und Judith wusste genau, was es zu bedeuten hatte.
»Ich liebe meinen Mann. Er ist das Beste, was mir das Leben gebracht hat, und ich bin jeden Tag dankbar, ihn zu haben.« Hella Singer nahm nun doch einen Schluck von dem Wasser und begann zu erzählen: »Eduard hat mir damals nach der Vergewaltigung beigestanden, ist mir nicht mehr von der Seite gewichen. Ich befürchtete, schwanger geworden zu sein. Für mich war das ein grässlicher Gedanke, denn ich spürte, dass ich dieses Kind nie würde lieben können. Tagelang schmerzte mein ganzer Leib bei der Vorstellung, was da für ein entsetzlicher Fremdkörper in mir heranwachsen könnte. Ich ekelte mich vor mir selber und konnte mich kaum noch bewegen. Ich war so deprimiert, dass ich nicht mehr leben wollte. Und in einem Moment tiefster Verzweiflung bat ich Eduard um Gift, damit ich mich umbringen konnte.« Hier stockte Hella Singer in ihrem Bericht und erneut begannen ihr Tränen übers Gesicht zu laufen. Doch es gelang ihr, sich wieder zu fassen. »Ich habe Eduard nie vorher und auch danach nie wieder so wütend erlebt. Er schrie: ›Ich werde töten, aber gewiss nicht dich!‹ Es war eine furchtbare Auseinandersetzung voller Angst und Hass, aber am Ende voller Liebe und Trost ... Ich habe mich später noch oft dafür geschämt, ihm überhaupt diesen Wunsch zugemutet zu haben.«
»Was ist aus dem Kind geworden?«, traute sich Judith Brunner nach einer Weile zu fragen.
»Ach. Ich habe ein paar Tage später vorsichtshalber einen Pflanzensud zur Abtreibung, den Eduard nach einem alten Rezept hergestellt hatte, getrunken. Er hat gar nicht erst versucht, mir das Ganze auszureden, hat mir einfach nur geholfen. Wir haben nie wieder davon geredet.« Nach einer kurzen Pause setzte sie leise hinzu: »Nur wurde ich niemals wieder schwanger.«
»Sie haben sich nach der Vergewaltigung nicht ärztlich behandeln lassen«, vermutete die Kommissarin. »Das hätte sogar lebensgefährlich sein können«, stellte sie mitfühlend fest.
»Ich war so voller Scham. Nach dem Abbruch ging es mir schnell besser. Die Wunden heilten. Eduard hatte mich in seinem Elternhaus in der ehemaligen Kammer seiner jüngeren Schwester untergebracht. Seine Eltern waren bereits wochenlang an der See. Der Aufenthalt dort linderte die schwere Krankheit, die sein Vater aus Russland mitgebracht hatte. Und sie hatten auch nicht vor, bald in ihr Zuhause zurückzukommen. Eduard lebte also allein und hatte genügend Platz ... Später haben wir dann die Wand zur Kammer einreißen lassen und die Zimmer zu unserer großen Wohnstube zusammengelegt.«
Judith sah sofort wieder den gemütlichen Raum vor sich.
»Doch ewig konnte ich mich nicht verstecken. Sobald ich wieder bei Kräften und die blauen Flecken aus meinem Gesicht verschwunden waren, verließ ich die Gegend und ging weg aus der Altmark. Eduard flehte mich an, es nicht zu tun, und versicherte mir, er würde sich um Holl kümmern, und zwar so, dass der mir nie wieder etwas antun könne, doch ich hatte zu große Angst vor dem Mann. Also ging ich in den Westen, erzählte dort, dass mir sämtliche Papiere gestohlen worden wären, und beantragte mit der Geburtsurkunde einer Cousine Eduards, einer Hella Schmittke, einen neuen Ausweis. Das war damals alles noch unkompliziert. Eduard besuchte mich, so oft er konnte, und zwei Jahre später haben wir dort geheiratet. Dann gingen wir als Eheleute Singer zurück nach Breitenfeld. Meine Eltern hatte der Holl inzwischen ins Grab gebracht, sie waren auch Opfer seines maßlos bösen Wesens. Mich kannte in Eduards Dorf ohnehin niemand und außerdem hatten mich die Ereignisse auch äußerlich ziemlich verändert ... Das klingt aus heutiger Sicht recht einfach, doch für uns war es damals eine schlimme Zeit.« Prüfend sah Hella Singer dann Judith Brunner an, bevor sie überzeugt weitersprach: »Sie wissen, dass sich eine große Liebe nach Zweisamkeit sehnt?«
Judith wusste genau, wovon Hella Singer sprach. Und das Ende dieser großen Liebe wäre das Ende von allem, ergänzte sie in Gedanken.
Hella Singer fuhr fort: »Meine Angst ließ nicht nach. Nur wenn Eduard bei mir war, fühlte ich
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