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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen
Autoren: Heike Schroll
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verriet ihm seine Nase weiterhin, war der Mann schon länger als ein paar Tage tot.
Kritisch blickte er sich um. In der Pathologie sah alles normal aus. Unbewusst steuerte Dr. Renz den erstbesten Sessel seiner kleinen Bürositzgruppe an, ließ sich fallen und grübelte, wie er mit diesem unerwarteten Problem umgehen sollte. Unmöglich, dass er da gestern etwas missverstanden hatte. Was für eine Erklärung ließ sich finden? Eine harmlose Verwechslung, die in einem Krankenhaus nicht völlig auszuschließen war? Ein böser Scherz missgünstiger Kollegen? Oder hatte er es gar mit einem kriminellen Delikt zu tun? Kopfschüttelnd stand er auf und griff erneut nach den drei Patientenakten. Ohne sich wieder zu setzten, verglich er die Aufzeichnungen. Dann war er sich gewiss: Diese bereits verwesende und eigenartig duftende Leiche gehörte einfach nicht hierher.
     
     
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    »Gib deinem Opa noch einen Kuss!«, verlangte Botho Ahlsens. »Nein? Du willst nicht? Na dann muss ich wohl ohne Abschied auf die Reise.«
Irgendetwas in der sonoren Stimme des Alten sagte dem kleinen Mädchen, dass es jetzt kurz sein amüsantes Spiel mit dem Plüschteddy unterbrechen sollte. Sie ließ sich auf den Arm nehmen und sabberte dem glücklichen Mann auf die frisch rasierte Wange.
»Bäh!« Angewidert verzog sie das Gesicht. Noch gehörte Ella zu den weiblichen Geschöpfen, die nicht mit einem teuren Aftershave zu beeindrucken waren.
»In spätestens drei Stunden bin ich wieder da! Ich spaziere heute rüber zum Ferchel und schaue, ob die Felder schon abgetrocknet sind.«
»Mach das! Mich interessiert auch, was du zu berichten hast. Pass bitte auf, dass du die Zeit nicht vergisst«, mahnte Astrid aus Erfahrung und nahm ihrem Onkel den kleinen Wonneproppen wieder aus dem Arm.

Die Sonne hatte schon mächtig Kraft und spendete mehr von ihrer ersehnten Wärme, als Botho Ahlsens voraussehen konnte. Ihm wurde zunehmend heißer auf seiner kleinen Wanderung und so zog er seine Joppe aus und trug sie lässig über die Schulter gehängt. Es lag noch ein gutes Stück des Weges vor ihm.
Der Regen des Frühlings war über Wochen, und viel ergiebiger als in den letzten Jahren, gefallen. Die Wintergerste, die im Herbst gleichmäßig und kräftig auf den Äckern stand, sollte das nasse Wetter eigentlich unbeschadet überstanden haben, denn die Felder lagen zwischen dem Weg und dem entfernten Waldrand leicht hangaufwärts, sodass selbst die stärksten Niederschläge gut ablaufen konnten. Botho Ahlsens atmete erleichtert auf, als er seine Hoffnungen bestätigt sah: Ein regelmäßiges, sattes Grün lag über der sonst braunen Erde.
Auf dem fast pfützenfreien, breiten Landwirtschaftsweg zwischen Waldau und Wiepke war er gut vorangekommen. Spontan kam ihm die Idee, auf dem Rückweg über den Stakenberg nach Waldau zu wandern. Der Aufstieg würde zwar etwas beschwerlich werden, zumindest für Leute, die wie er fast siebzig Lenze erlebt hatten, doch könnte er bei dieser Gelegenheit einen kleinen Abstecher zu den Elf Quellen machen. Dort war es um diese Zeit im Jahr besonders schön. Das lebhafte Plätschern der kleinen Rinnsale unter den flirrenden Schatten der noch nahezu blattlosen Buchen erinnerte ihn jedes Mal an seine Kindheit, als er hier mit seinem Bruder Paul die neuesten Schiffsmodelle ihrer winterlichen Bastelarbeiten auf Wassertauglichkeit getestet hatte.
Ahlsens blieb kurz stehen und genoss das Panorama. Beiläufig registrierte er, dass linker Hand am Weg einige Utensilien aufgestapelt waren, die für die Reparatur der zahlreichen Weidezäune gebraucht wurden: Drahtrollen, Erdbohrer und Pfähle. Saftige Wiesen wechselten sich links, weit hinunter bis zur parallel zu seinem Wanderweg verlaufenden Landstraße, mit kleineren Waldstücken ab. Er lauschte. Außer dem Summen einiger Insekten und dem unermüdlichen Gezwitscher eines Zilpzalps war nichts zu hören. Das frische Grün an den Büschen und Sträuchern leuchtete in vielen verschiedenen Tönen und dazu schien die Sonne vom blank geputzten Himmel. »Herrlich!«, rief Botho Ahlsens laut aus.

Schon gestern hatte sein Enkelkind die warme Frühlingssonne genießen können und auf der großen Wiese im Gutspark erneut probiert, aufrecht umherzulaufen. Die kleine Ella wurde nun bald ein Jahr alt und war genau genommen nicht seine Enkelin, doch hatte er seine Nichte Astrid nach dem Tod ihrer Eltern wie seine Tochter großgezogen, und nun lebten sie schon viele Jahre einträchtig im Waldauer Gutshaus
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