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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen
Autoren: Heike Schroll
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beieinander. Im letzten Sommer hatte Astrid entbunden und seitdem war ihr kleines Töchterlein auch in Botho Ahlsens Leben zum Mittelpunkt geworden.
Von Ellas Vater indes hielt er überhaupt nichts. Womöglich war Martin Bach sogar ein ganz brauchbarer Arzt, aber er war eben auch verheiratet! Lange hatte er mit Ehefrau und Kindern im Dorf gelebt. Zum Ende des letzten Winters war er – endlich! – mit seiner Familie von Waldau nach Bismark umgezogen, hielt aber die Praxis im Dorf vorerst für einen Tag in der Woche geöffnet. Wer sollte die Arbeit sonst auch machen? So schnell war ein Nachfolger nicht zu finden. In Waldau war man sich einig, dass eine tagweise geöffnete Arztpraxis immer noch besser sei, als bei kleinen gesundheitlichen Beschwerden extra nach Gardelegen oder Klötze fahren zu müssen.
Botho Ahlsens hingegen hatte einen Arzt seit Jahrzehnten nicht aufgesucht und gedachte unter diesen Umständen schon gar nicht, daran etwas zu ändern. Pah! Wenn er dem Kindsvater zufällig im Ort begegnete, wechselten sie nicht mehr als distanziert grüßende Blicke. Wenigstens zahlte Martin Bach zuverlässig den Unterhalt für das Kind und besuchte Astrid und Ella regelmäßig. Botho Ahlsens trachtete dann allerdings stets danach, diesen Treffen auszuweichen und suchte sich zumeist eine Aufgabe außerhalb des Gutshauses, denn er konnte Astrids hoffnungsvolle Blicke nur schwer ertragen. Glaubte sie wirklich an eine Zukunft mit diesem Mann? Wieder und wieder konnte sich Ahlsens über diese für ihn schwer zu akzeptierenden Verhältnisse ereifern.

Ohne es zu bemerken, war er dem Ziel seiner Wanderung bereits nahe gekommen: Die große, alte Eiche war gut zu sehen. Nach alten Überlieferungen bildete der Baum den Mittelpunkt des sagenumwobenen Dorfes Ferchel, das schon vor über fünf Jahrhunderten aufgegeben worden war.
Man erzählte sich, dass das alte Adelsgeschlecht der Quitzows daran die Schuld trug. Die Quitzows waren zu jener Zeit mächtige und wohl auch gefürchtete Feudalherren der Mark Brandenburg und ihr Drang nach Machterweiterung führte sie bei ihren Plünderungszügen bis in die Altmark. Die Menschen hatten damals unter mancher Fehde zu leiden, zumal die Quitzows nicht die einzigen rücksichtslosen und brutalen Raubritter in der Mark waren. In der Waldauer Chronik war vermerkt, dass die ganze Gegend vor ihnen zitterte und die Bauern oft beteten: »Vor Kökeritz und Lüderitz, vor Quitzows, Itzenplitz und Krachten, soll uns der Herrgott bewachten!«
Die Quitzows nutzten für ihre Raubzüge gern die alte Handels- und Heerstraße, die heute als Fernverkehrsstraße F 71 die Altmark durchquert. Jahrhunderte zuvor wurde sie als Nord-Süd-Verbindung von vielen Kaufleuten bevorzugt. Die Quitzows raubten Salz, das nach Norden geliefert werden sollte, oder nahmen den Händlern Stoffe und Gewürze ab, die sie dafür eingetauscht hatten. Auf dem Weg der Raubritter zurück in ihre Schlupfwinkel, von denen sich einige in den nahegelegenen Hellbergen befanden, lag das unglückliche Dorf Ferchel, das den Launen der manchmal erfolgstrunkenen oder eben enttäuschten Banditen schutzlos ausgeliefert war. Oft mussten die Bewohner froh sein, mit dem Leben davonzukommen, und ein jeder hatte wohl schon mehrfach erwogen, von hier wegzugehen.
Die Stadt Gardelegen, der als Hansestadt viel an einer regen und sicheren Handelstätigkeit lag, hatte sogar eine Reitertruppe aufgestellt, um die Kaufleute auf dem Handelsweg zu begleiten und zu schützen. Den bewaffneten Mannen gelang das recht wirkungsvoll und die Überfälle der Quitzows endeten immer öfter mit schmachvollen Niederlagen.
Einen dieser fehlgeschlagenen Raubzüge, im Jahre 1474, musste das Dorf Ferchel büßen; an ihm ließen die Raubritter ihren Frust und ihre Wut aus. Ihr Überfall wurde zum Gemetzel, als die Bauern sich wehrten: Männer wurden an der Dorfeiche aufgehängt, die Frauen geschändet und ermordet, die Häuser und Scheunen in Brand gesteckt – schließlich brannte ganz Ferchel nieder. Nur wenige konnten sich retten und in die Wälder flüchten. Die überlebenden Bewohner des Dorfes hatten allerdings keine Kraft mehr, an dieser gefährlichen Ortslage einen Neuanfang zu wagen. Ihr Dorf war vernichtet. Die Menschen kamen bei Verwandten in Breitenfeld, Schwiesau oder Waldau unter.
Lediglich die mächtige Dorfeiche überstand die Feuersbrunst und zeugt nach Jahrhunderten noch immer von Ferchel und seinem tragischen Schicksal.

Eine Zeit lang hatte eine einfache,
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