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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen
Autoren: Ernst Vlcek
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sehr ich auch danach suche.
    Egal, nach mir kommt vielleicht gar nichts. Damals sah ich die Zukunft jedoch klar, wenn auch ironisch vor mir. Uns gehörte die Erde! Neunzig Prozent der zivilisierten Menschheit waren bereits nach drüben gegangen, und die dritte Welt hatte immerhin eine Auswanderungsquote von fünfundsiebzig Prozent zu verzeichnen. Sandra schätzte, daß der Emigrationsprozeß in vier Jahren abgeschlossen sein müßte. Nach Ablauf dieser Frist wäre unsere Kommune der letzte menschliche Stützpunkt auf der Erde. Wir waren der Grundstock der neuen Menschheit. Martin Korner, der Stammvater – wie klingt das?
    Sandra und ich machten tatsächlich den Anfang. An einem regnerischen Septembertag wurde ihr zum erstenmal übel, und da gestand sie mir, daß sie schwanger war. Bereits im siebten Monat.
    »Warum hast du mir nichts gesagt? Und warum merkt man nichts?«
    »Ich … jetzt weißt du es, Marty.«
    »Auch schon was! Hast du denn kein Zutrauen zu mir? Ich liebe dich, Sandra. Ich kann ohne dich nicht mehr sein. Ich brauche Menschen. Ich brauche dich.« Ich strich über ihren Bauch. »Wie kommt es, daß du ganz flach bist?«
    »Prana«, sagte sie, und ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten. »Ich kann machen, daß du Dinge nicht siehst, die du nicht sehen sollst. Du hättest noch lange nichts gemerkt, wenn ich gewollt hätte, aber ich finde, es wird Zeit, daß du zu deiner Vaterschaft stehst. Das Leben ist nicht nur Spiel. Du mußt die Konsequenzen ziehen, Marty. Ich möchte nicht, daß unser Kind in dieser Welt aufwächst.«
    Mannys Ankunft drängte das Problem in den Hintergrund. Er kam geradewegs aus Afrika, wo er als Missionar für Prana tätig gewesen war.
    »Gibt es denn überhaupt noch Verkehrsverbindungen zwischen den Kontinenten?« fragte ich. »Oder hast du die Strecke zu Fuß zurückgelegt.«
    Er tippte sich an die Stirn.
    »Es kostet mich nur einen Gedanken«, erklärte er dazu. »Ich brauche nur zu denken, so, jetzt aber nichts wie zu Marty und den anderen – und da bin ich. Ohne Zeitverlust und ohne körperliche Anstrengung. So einfach ist das mit Prana. Jetzt wollen wir aber nicht lange fackeln und mal festhalten, wann wir aufbrechen können. Es ist schön, daß wir es alle zusammen tun können.«
    Seinen Worten folgte betretenes Schweigen. Schließlich sagte Sandra:
    »Marty will nicht. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, auf Erden eine zweite Menschheit zu begründen. Und sein erster Untertan ist auch schon im Werden.«
    »Aber ohne Marty können wir auch nicht nach drüben!«
    »Eben.«
    »He, Marty, nun sei kein Prana-Muffel«, rief mir Manny zu. »Kommst du dir unter uns Talentierten nicht wie ein Fossil aus grauer Vorzeit vor? Du bist gewissermaßen der Neandertaler unter uns.«
    So hatte ich die Sache bis dahin noch nicht gesehen. Aber nachdem Manny den Denkanstoß gegeben hatte, begann ich zu grübeln. Auf einmal kam ich mir wie ein Hanswurst vor. Was für ein diabolisches Spiel! Sie konnten meine Gedanken lesen, und es amüsierte sie offenbar, zum Schein auf alle meine Wünsche einzugehen.
    Conny brauchte mit der Flinte gar nicht zu zielen, er konnte die Kugel kraft seiner Gedanken punktgenau in die Nasenwurzel des Bären setzen. Marty hat Sehnsucht nach uns? Er will es nicht zugeben, aber wir hören seine verzweifelten Gedanken: Gib mir Menschen!
    Und da sind wir. Wir hören seine gedanklichen Hilferufe um den halben Erdball herum, selbst in Afrika. Klar kommen wir, wir lassen keinen Freund im Stich.
    Und sie kamen einer nach dem andern, und es freute sie diebisch, ihn mit ihrem plötzlichen Auftauchen stets zum richtigen Zeitpunkt zu verblüffen. Immer wenn er der anderen überdrüssig zu werden begann, tauchte ein neuer Freund auf, um frischen Wind mit sich zu bringen. Diese kleine Freude machten sie ihm – sie, die Supermenschen, dem Fossil.
    Aber ganz so einfach war es nicht, die Wahrheit war noch viel, viel teuflischer.
    Nachdem ich mir die Zusammenhänge zusammengereimt zu haben glaubte, überkam mich Wut. Ich machte mir ordentlich Luft, sagte ihnen allen, die mich monatelang am Gängelband gehabt hatten, meine Meinung und verschwand für ein paar Tage. Solange brauchte ich, um mich zu beruhigen. Dann ertrug ich das Alleinsein nicht mehr und kehrte reuig zurück.
    »Das siehst du falsch, Marty«, sagte Sandra nach meiner Rückkehr. Sie waren noch alle da. Möglicherweise konnten sie wirklich nicht ohne mich nach drüben, weil irgendwelche unsichtbaren Bande uns
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