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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Zeichen.
    So ging es in Erfüllung und kam so.«
    Der Jäger machte den neunten Strich, sah, den Kopf hin- und herwiegend, auf die Uhr und rüstete sich sogleich, ohne Blick und Rücksicht auf seine Zuhörer, für seine nächste Geschichte:
    »Von der törichten Lebensmittelhändlerin
    Eine Frau, die in der Nähe von Klosters einen kleinen Lebensmittelladen unterhielt, eine empfindliche Person, die oftmals ihrem dann tröstlich brummelnden Mann gegenüber klagte, daß man gegen all die Butter und Käse kaufenden Menschen wie gegen Wände rede, unternahm an einem Morgen kurz vor Weihnachten eine Wanderung in den Schnee. Das Licht des späten Mondes und der halb verhüllten Sonne gespensterte über die Flanken, die Landschaft wurde ihr, als sie so allein ausschritt, als wunderbarer Frostpalast gezeigt. Geisterhaft zart, wie nur bei großer Eisigkeit, warf man ihr einzelne Schneeflocken, nein, Diamantstaub, einen glitzernden Funkenflug, entgegen. Immer ging es hin und her, das Licht schweifte, wehte und schwankte über die Bergkuppen, sie sah den Himmel dicht aufliegen in wildem Blau, sah ihn schwinden und sich wölben. Die dreimal verzauberten Eistücher traten in Falten aus den Felsen und hingen starr herab.
    Sie aber dachte plötzlich an die Spiegeleier, die sie sich zuhause braten würde, dachte immer inständiger daran.
    Es wurde ihr nicht angekreidet.
    Auf einmal entdeckte sie an ihrem Zeigefinger einen gespaltenen Nagel. Nun konnte sie sich mit nichts anderem mehr beschäftigen.
    Auch das wurde ihr verziehen.
    Als sie aber zuhause ihrem Ehemann erzählte, einen herrlichen Kitsch habe sie da draußen erlebt, da wurde ihr das nicht vergeben. Nie wieder im Leben offenbarte sich ihr die Schönheit dieses einen, gekränkten Morgens. Sosehr sie auch, wenn sie eine Woche, ein Jahr mit Butter und Käse hinter sich gebracht hatte, danach Ausschau hielt: Es war umsonst.«
    Der Jäger blinzelte, stocherte im Feuer, reichte die Flasche mit Hochprozentigem herum und fuhr fort, nachdem er den zehnten Strich gemacht und auf seine Uhr gesehen hatte:
    »Die Puppe auf der Alp
    Eine Frau in Maladers wurde alt. Sie hatte immer gedacht, zwischen den Dingen würden leere Zwischenräume sein, und hatte darauf vertraut und gebaut. Jetzt spürte sie, wie alles in Wahrheit angefüllt war mit Botschaften, verbunden durch Wellen, Schwingung, Strömungen. Es verwirrte ihr den Kopf. Mann und Kindern sagte sie besser nichts davon.
    Gab es einen Schaden an den Hausmauern, an der Dachrinne, fühlte sie es neuerdings als Schmerz in den Zähnen, in den Haarspitzen, im Herzen. Am schlimmsten suchte sie aber ein anderes Gefühl heim, nämlich das: der Küchenstuhl, auf dem sie eben noch gesessen hatte, wäre, sobald sie draußen stand, nicht mehr vorhanden, und der Mensch, der ihr eben noch beim Holzhacken geholfen hatte, wäre, sobald er außer Sicht geriet, nicht mehr lebendig, es vielleicht auch nie gewesen. Andererseits empfand sie das Tote mächtig in seiner Wirklichkeit. An all dem erkannte sie: Es ist soweit. Ich werde alt.
    Früher galt sie als eine sogenannte Interessante. Sie war eines Tages aufgetaucht und hatte den Männern den Sinn verdreht. Nur gut, daß jemand sie schnell heiratete und pünktlich die Kinder kamen, jedes Jahr gebar sie dem Mann eins, ohne Widerspruch, insgesamt siebenmal. Dafür quälte er sie nicht mit Fragen und beschützte sie gut.
    Was hätte sie ihm auch über ihre Herkunft erzählen sollen? Sie erinnerte sich nicht mehr daran. Ihr erschien die Vergangenheit wie ausgelöscht. Ganz dunkel dämmerte ihr: Es war auch besser so!
    Eines Tages, als sie über ihr Altwerden und die Merkmale grübelte, über das Rascheln und Knistern, über das Knacken und eigentümliche Verholzen in ihrem Körper und das Rucken in den Gelenken, hörte sie in der Kirche, als der Priester auf sich warten ließ, wie eine noch viel ältere Frau als sie selbst, vielleicht nur zum Zeitvertreib, flüsternd behauptete, oben auf der Alp habe im Sommer einmal ein Senner gehaust, dort mit seinen zwei Gehilfen aus Langeweile Stroh in einen Sack gefüllt und aus dem Balg eine Puppe geformt. Dieser Puppe schmierten sie Milch ums Maul und nahmen sie mit in ihr Bett, weil sie keine Frau da oben hatten. Als der Senn schließlich in seinem Übermut auf die Idee kam, das Geschöpf zu taufen und also Wasser über sie goß und dazu die heiligen Worte sprach, riß die Puppe die Augen auf! Sie befahl den Gehilfen, sogleich mit den Tieren die Alp zu verlassen
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