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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Dioramen und Schautafeln angeschlossen. Gut und schön. Aber es gibt dort auch einen Frühstückstisch für vier Personen, mit allem, was normalerweise dazugehört, jedenfalls in einer ordentlichen Familie mit Vater, Mutter, Sohn und Tochter, auch wenn sie hier fehlen, wie die Zwerge bei Schneewittchen. Jeder der Abwesenden hat etwas anderes verlangt, und alle Wünsche wurden auf bunten Streifensets reichlich erfüllt. Vier kleine Reiche mit jeweils eigenen Statuten. Man will seitens des Museums damit zeigen, aus wie vielen Regionen der Erde wir bei einem alltäglichen Frühstück Rohstoffe usw. beziehen. Natürlich ist alles imitiert, Schokoladenpaste, Kokosflocken, Trockenfrüchte, Spiegelei, Bananen, Tee, alles aus Gips oder Plastik, aber täuschend echt, wenn auch etwas staubig.
    Elsa, zu Besuch in der Hauptstadt, hatte es mit eigenen Augen angesehen und fing an sich zu wundern, warum sie es so lange, so versunken tat, viel länger als bei den Fotos von den exotischen Herkunftsländern. Plötzlich fiel ihr ein, wie ungern sie als Heranwachsendeausgerechnet den Frühstückstisch deckte, wie leidenschaftlich sie aber doch, im Gegensatz dazu, schon als Kind das morgendliche Tischdecken nachgeahmt, ja, wie sie es sich allein am Nachmittag für vier eingebildete Personen vorgespielt und das feine Klingeln der Löffelchen dabei angehört hat.
    Wer weiß die Lösung?
Glatteis
    Ein Mann, der, da ihm Frau und einziger Sohn gestorben waren, allein leben mußte, soll öfter im Kreis der ihm verbliebenen Freunde betont haben, wie stolz er auf seine tapfer aufrechterhaltene Selbständigkeit sei. Auch zu diesem Winteranfang war es nicht anders. Er saß, sagte man, mit dem Vogelbestimmungsbuch am Küchenfenster und verfolgte das Treiben der kleinen Gäste so interessiert wie das ängstliche Vorantasten besonders der alten Menschen bei Glatteis da draußen. Mit einer Hand sah er sie die Leine eines großen oder kleinen Hundes halten, mit der anderen umklammerten sie den Briefkasten oder stützten sich gegen die Müllcontainer auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig. »Hier ist mein Platz, solange ich noch die fünf Eingangstore habe für die Welt, damit sie bei mir eintreffen kann!« soll er oftmals zu dem deutlich jüngeren Herrn Fritzle gesagt haben.
    Und doch, so heißt es, hat er sich im Dezember entschlossen, die Waffen zu strecken und sich um Aufnahme in einem Heim zu bemühen. Von einem zum anderen Tag! Als nämlich das Eis auf der vierstufigen Außentreppe seines Häuschens zwischenzeitlich geschmolzen war, gab es plötzlich ein Loch frei, etwa so groß wie ein Normalbrot.
    War das so schlimm? Beim Rauf- und Runtersteigen hatte er doch nie auf diese Stelle getreten.
    Doch, es soll verheerend gewesen sein für ihn. Warum aber? Weil er durch die Öffnung im Beton in die reine Schwärze sah, in eine bodenlose Finsternis. Dieser Hohlraum soll ihn, Herrn D.,ehemals Pressefotograf, so verdutzt haben, daß er, ohne sich erst bei einem Maurer nach einer möglichen Reparatur zu erkundigen, prompt den Schutz eines Altersheims suchte.
    »Dieser Karl!« sagten Wilhelm und Piko, die ihn dort erfreut und zugleich betrübt erwarteten. Nun war, da sie Fritzle und dessen Freunde nicht kannten, ihr letzter Streiter draußen in der Welt dahin.
Filmriß
    Als »Filmriß« bezeichnete ein 46jähriger Gelegenheitsarbeiter aus Düsseldorf, daß er einem etwa gleichaltrigen Freund mit bloßen Händen die Hoden abgerissen hat. Das stark blutende Opfer flüchtete sich nach dem irreparablen Eingriff zu seinen Eltern. Alex erzählt es beim Abendessen seiner Schwester, die mit vollem Mund ruft: »Ich versteh die Welt nicht mehr!«
    Es ist schon merkwürdig, sich vorzustellen, daß ununterbrochen in einer der vielen Sparten gerade ein Weltbild untergeht.
    Der Freund des Düsseldorfers dagegen, der immerhin seine Zeugungsfähigkeit bei dem Überfall einbüßte, zeigte bei der Verhandlung Verständnis, indem er meinte, das ihm Widerfahrene »passiere schon mal«.
Hosenriß
    Der Komponist Hannes Keller, der schon als Kind bei mancher Musik das Gefühl hatte, er würde aus einem Kasten herausexplodieren und das Herz wolle den Körper sprengen, saß an seinem ärmlichen Frühstückstisch. Er las bewegt von einem schweren Erdbeben in einem fernen Weltteil. Kurz darauf jedoch beugte er sich hinunter zu seinem vielfach mit Patex geklebten Hosenriß am Knie, sprach mit ihm, untersuchte ihn und sagte abschließend: »Keiner von uns beiden läßt locker!« Ganz
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