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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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von Geröll und Schutt. Das geschah im September.
    Im November aber zerfiel ihr beim Wenden die Apfeltarte, die sie für ihre beiden großstädtischen Schwiegertöchter gebacken hatte. Das war Berta Eggli noch nie passiert. Bekümmert stand sie vor der Bescherung, und auch beim Kaffeetrinken angesichts des in letzter Minute noch glücklich reparierten Kuchens dachte sie insgeheim an nichts anderes als an ihr Mißgeschick.«
    »Ja, ja, so sind die Frauen«, riefen die Zuhörer. Der Jäger schenkte nach, machte den Strich und fuhr fort:
    »Der Berg
    Ein ehemals frommer Mann aus Bergün, etwas oberhalb wohnhaft, der wie viele seinen Glauben an Gott verloren hatte, da er sich ihm nirgendwo zeigte, freute sich jeden Morgen an einem Berg, Piz Ela, der dicht vor dem Fenster seines Schlafzimmers auf ihn wartete. Leuchtend in Schnee und Eis, in dröhnendem Schweigen nach Sonnenuntergang, schwebend beim Morgengrauen unter dem verbleichenden Vollmond stand er da in Macht und Zartheit, dicht vor seinen Augen, immer derselbe und zu jeder Stunde wechselnd. Da sagte er sich, und es war an einem Donnerstag: Warum sollte ich nicht in ihm einfach Gott sehen, Gott wie das Wort ›Gott‹, als Bild, abgekürzt?
    Aber es funktionierte dann doch nicht.«
    Dem Jäger war die Pfeife ausgegangen. Er entzündete sie neu, machte seinen Strich, vergaß nicht den Blick auf die Uhr und setzte seine Erzählungen lächelnd fort:
    »Die Tochter des Gesanges
    In Tschiertschen, wo erst vor einigen Jahren die Straße nach Chur den Hang runterrutschte und zwei junge Burschen in ihrem Auto getötet hat, lebte vor langer Zeit, allein und für sich, eine schöne Frau, die den Leuten aber letzten Endes nicht geheuer war. Die Männer freuten sich, wenn sie durchs Dorf ging, und ereiferten sich, weil sie keinen von ihnen für ein Stündchen erhören wollte. Sie zu heiraten hätte sich niemand zugetraut. ›Die kann mehr als recht‹, flüsterten die Frauen, und: ›Die bringt uns Unglück!‹
    Schließlich sagten sie es lauter und lauter, und am Ende wußten alle sicher, um was es sich hier handelte. Sie versammelten sich im Gemeindesaal, beschlossen Schreckliches und stürmten los zu der Frau, die, kein Wunder, meergrüne Augen und Sommersprossen hatte. Schon sahen sie das Zucken und Flackern und Flammen vor sich als etwas Köstliches und Süßes.
    Man weiß nicht, um was es sich handelte, aber irgend etwas zwang sie, als sie vor dem Haus der Frau anlangten, leise zu sein, sich anzuschleichen für ihre Mordtat, nach der sie verlangten, Männer wie Frauen. Vielleicht verführte sie der sanfte Schein aus den Fenstern des Häuschens?
    Erstaunlicherweise war die Haustür nicht verschlossen, nur angelehnt, als würden sie erwartet. Aus dem Inneren aber drang eine alte Musik, so herrlich, wie sie noch nie von ihnen gehört worden war, vielleicht aus dem Radio? Sie rührten sich nicht, sie drängten sich heran und lauschten den himmlischen Klängen. Da begriffen sie, daß kein Teufelsliebchen eine solche Schönheit ertragen würde. Wie gut war die Welt doch in Wirklichkeit! Einer von ihnen, der einige Semester in der Hauptstadt studiert hatte, sagte: ›Es ist die Cäcilienode, ich täusche mich nicht, die Cäcilienode, ganz gewiß!‹ Sie standen still und horchten. Dann gingen sie, ohne weitere Verständigung, nach Hause, jeder für sich, wo er hinmußte.
    Am nächsten Tag zeigte sich, daß die Frau aus der Gegend verschwunden war. Sie kehrte nie wieder zurück. Die Leute von Tschiertschen aber dankten ihrem Gott, daß er sie davor bewahrt hatte, ein großes Verbrechen zu begehen.«
    Wieder machte der Jäger seinen Strich und warf einen Blick auf die Uhr:
    »Der gute Geist
    Im Dorf Arosa hatte sich ein Mensch niedergelassen, über den sich schnell das Gerücht verbreitete, er wolle der Gegend Gutes tun, weil er sie wegen ihres Liebreizes (besonders dort, wo die Plessur durch den Müliboda fließt und wo, auf den Schwelli-See zu, die Kühe einander, wie er meinte, mit ihren Hälsen und Schwänzen so gutmütig wie anmutig umschmeicheln) sehr ins Herz geschlossen hatte. Auch hieß es, daß er über geheimnisvolle Mächte und Geldquellen verfüge. Im Gemeinderat rieb man sich die Hände, die Taxifahrer, die Skilehrer, die Hoteliers, die Busfahrer und die Burschen, die mit den schweren Pistenfahrzeugen im Winter umgehen, selbst die, die das Eis von den Straßen loshacken, sie alle erhofften sich ungeahnte Wohltaten. Der Mensch schritt auch bald zur Tat, und was er
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