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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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tatsächlich die von dem Jäger gut beschriebene Hütte. Er wurde dort bereits von dem Mann und, zu seiner Überraschung, von zwei weiteren Gästen erwartet. Alle vier Männer konnten mit einer bescheidenen Schlafstelle rechnen und richteten sich gutgelaunt ein auf einen gemütlichen Abend mit Hirschgulasch, Wein und Kaminfeuer, umgeben von Abgründen und Einöde.
    Pfeife, Zigarren, auch Zigaretten kamen nach dem Essen zum Einsatz. So plaudernd und tapfer rauchend in der felsigen Einsamkeit dazusitzen, empfanden sie als Streich gegen die Ehefrauen und den Rest der Welt. Ob sie in dieser Umgebung nicht Interesse hätten, etwas Volkstümliches, auch Volkskundliches, nämlich einige Sagen aus der Region zu hören, fragte der Jäger unmittelbar nach beendeter Mahlzeit. Kaum nickten die Gäste, begann er schon. Wobei er seltsamerweise, wie es schien, etwas nervös auf seine Armbanduhr sah, sie vom Handgelenk nahm und ohne Erklärung vor sich hinlegte.
    »Mann und Frau«, begann er.
    »In Litzirüti, nicht weit von Arosa, etwas unterhalb nur, lebten in einem Haus mit steiler Katzentreppe ein Mann und eine Frau. Von ihr sagten die Leute, während der hübsche Mund der Frau ganz arglos lachte, hinter ihrem Rücken immer öfter, sie könne wohl ein Gewisses mehr als bloß spinnen. Das betrübte den Mann und ängstigte ihn. Aus einem solchen Gerücht mochte leicht Schlimmes erwachsen! Er bemühte sich, den Verdacht der Dorfbewohner wenigstens vor der Frau zu verheimlichen. Denn was sonst sollte der Furchtsame tun?
    Das Haus wird jetzt zum Verkauf angeboten.
    Genauso ging es in einem anderen Fall in der Nähe von Peist zu, plessurabwärts, etwas näher dem alten Bischofssitz Chur. Nur war es dort so, daß der Mann, wenn er seine Frau besonders liebte, seine Zungenspitze in ihr linkes Ohr zu dem schwarzen Muttermal dort steckte und wenig später zufrieden flüsterte: ›Hexe!‹«
    Hier holte der Jäger einen Stift hervor und ein Papier, auf das er einen Strich machte. Dann fuhr er ohne Pause fort:
    »Die kleinen Gäste
    Ein Mann aus dem Ruhrgebiet in Deutschland, wo es früher die kohlschwarzen Bergleute mit ihren Grubenlampen und ihrer Silikosegab, saß im Wartestübchen einer Bahnstation im Schanfigg. Saß dort am runden Tisch und sah auf die braunen Fußbodenkacheln und die Spitzendecke auf dem runden Tisch, trank einen Kaffee, den ihm die Kioskwirtin gebracht hatte und lachte mit ihr über einen etwas schütteren Clown namens Gottschalk im Fernsehen. Da ging die Tür auf, und herein kam ein schon recht gebrechliches, aber wohl noch immer treu verliebtes Pärchen, das wie in besonders teuren Erinnerungen vor sich hinlächelte. Die Wirtin berechnete ihnen den Wein, den sie munter tranken, nicht. Erst als die beiden gegangen waren, sagte sie vergnügt zu dem Deutschen: ›Das waren die Pestleutchen. Früher richteten sie großes Unheil in der Gegend an. Heute sind sie harmlos. Sie haben ihr Pulver verschossen.‹
    Der Mann aus dem Ruhrgebiet aber fuhr mit einem plötzlich aufgetretenen, widerlichen Ekzem an geheimer Körperstelle nach Hause und ist es bis heute nicht losgeworden!«
    Der Jäger machte nun wieder einen Strich auf den Zettel, nahm einen Schluck Wein, sah auf seine Uhr und fuhr fort:
    »Frau Eggli
    Die Frau Eggli, eine Frau, die die Gabe besaß, alle zu trösten, Frau Berta Eggli, deren beide Söhne in der Hauptstadt studiert und geheiratet hatten, diese Frau Eggli, die sich seit jeher weder vor den Tobelgeistern noch vor dem Totenvölkchen ängstigte und genau wußte, wo man das schwarze Kohlröschen, das Wintergrün und den schwarzroten Sitter findet, stieg, als ihr Mann zur Jagd auf Murmeltiere, Gemsen und Hirsche war, bis auf eine Höhe von 2004 Metern zu einer steinernen Schutzhütte auf, ganz allein. 2004 hieß auch das Jahr des Geschehens. Da kam ein Nebel, der alles auslöschte und schluckte. Es war die Stelle, wo sich einst der Hotelier Haldimann mitten im Juli im Schneesturm verirrte und auf allen vieren nach Hause kriechen mußte.
    Sie kannte sich gut aus, aber nun war ja nichts mehr zum Erkennenda. Kein Wahrzeichen, überhaupt kein festes Ding. Frau Eggli sagte sich, obschon alle Gegenstände im Grau verschwunden waren, kalten Blutes: ›Das ist nicht für immer! Steh still und warte nur, es wird alles wieder auftauchen!‹ Und tatsächlich, Berta stand still, wartete, der Nebel wich, würgte nicht länger, und sie setzte kühn den Weg noch um 300 Höhenmeter fort, mitten hinein in die Verlassenheit
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