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Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts

Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts

Titel: Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts
Autoren: Alexandra Kautzky-Willer , Elisabeth Tschachler
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Initialzündung für die New Yorker Medizinerin, sich fortan der „Gender-Medizin“ zu widmen.
    Die Bezeichnung „Gender-Medizin“ führt ein wenig in die Irre. Zu Anfang ging es diesem neuen Forschungszweig hauptsächlich darum, die Unterschiede in der Gesundheitsversorgung und Behandlung von Männern und Frauen zu beseitigen, die aufgrund von gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Einflüssen entstehen. Denn auch erlernte und von der Gesellschaft erwartete Verhaltensweisen beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden oder gesund zu bleiben. So haben beispielsweise mehrere Forschungsergebnisse gezeigt, dass sich die Ehe positiv auf die Gesundheit auswirkt. Allerdings nur auf die der Männer. Die leben, wenn sie verheiratet sind, zwei Jahre länger als ihre Single-Geschlechtsgenossen. Frauen kostet der Ehestand jedoch eineinhalb Lebensjahre. Für Stefan Felder, Professor für Gesundheitsökonomik an der Universität Duisburg-Essen, der die Daten von 100.000 Schweizern und Schweizerinnen ausgewertet hat 5 , hat das hauptsächlich finanzielle Gründe: Die Gesundheit des Mannes koste das Paar mehr als die Gesundheit der Frau, sagt er. Männer leiden beispielsweise früher und häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dann brauchen sie nicht nur ärztliche Betreuung, sondern auch Pflege. Die bekommen sie von ihren Ehefrauen. „Die Frauen opfern ihre Gesundheit für ihre Männer“, resümiert Felder.
    Frauen leben zwar insgesamt gesundheitsbewusster als Männer, reagieren eher auf Körpersignale und kümmern sich zudem nicht nur um das gesundheitliche Wohlbefinden ihrer Partner, sondern auch um das der anderen Familienmitglieder. Allerdings werden ihre Gesundheitsprobleme weniger ernst genommen, wenn sie medizinische Hilfe suchen. 6 Mit ein Grund, warum beispielsweise Herzprobleme bei ihnen oft als „psychosomatisch“ fehlgedeutet werden. All diese Faktoren des sozialen Geschlechts haben also Einfluss auf den Gesundheitszustand.
    Die Gender-Medizin nimmt aber nicht nur Rücksicht auf die gesellschaftlichen, ökologischen und vor allem ökonomischen Arbeits- und Lebensbedingungen, die ebenfalls einen großen Einfluss auf den Gesundheitszustand haben.
    Die Gender-Medizin widmet sich verstärkt auch den unterschiedlichen Symptomen und Ausprägungen ein- und derselben Krankheit bzw. den unterschiedlichen Krankheiten bei Mann und Frau, die durch die unterschiedliche genetische und biologische Ausstattung – Hormone, Erbanlagen, Anatomie, Stoffwechselvorgänge – begründet sind. An die 30.000 wissenschaftliche Artikel mit dem Stichwort „Gender medicine“ zählte die medizinische Datenbank PubMed im Frühjahr 2011. Vor allem in den Fachgebieten, die sich mit Hormonen (in der Medizinersprache: „Endokrinologie“) und Stoffwechsel („Metabolismus“) beschäftigen, macht die Gender-Medizin enorme Fortschritte. 7 Diese Erkenntnisse sind gerade bei jenen Erkrankungen, die immer häufiger diagnostiziert werden – beispielsweise sogenannte Lebensstil-Erkrankungen wie solche des Herz-Kreislauf-Systems, aber auch psychiatrische Störungen wie Depressionen, enorm wichtig.
    Freilich lassen sich biologische und psychosoziale Ursachen von Gesundheitsproblemen nicht immer klar voneinander trennen, manchmal beeinflussen oder bedingen sie einander. Mit ein Grund, warum aus dem Bereich der Gender-Medizin fast täglich neue Erkenntnisse kommen.
    Bekannt ist bisher unter anderem:
Die bis in die 1990er Jahre aufrechte Ansicht, dass Frauen vor einer koronaren Herzgefäßerkrankung (in der Fachsprache zu „KHK“ abgekürzt) geschützt sind, ist ein Mythos.
Das Risiko von Frauen, an Alzheimer zu erkranken, ist höher als das der Männer.
Frauen neigen während ihrer Menstruation vermehrt zu Schleimhauterkrankungen im Magen-Darm-Trakt und Asthmaanfälle häufen sich kurz vor der Periode.
Frauen weisen vier- bis zehnfach häufiger als Männer Schilddrüsenfunktionsstörungen auf.
Frauen sind zwei- bis viermal so häufig von rheumatischen und anderen Autoimmunerkrankungen betroffen.
Blasenkrebs ist bei Frauen seltener, dafür aber oft aggressiver als bei Männern.
    Der Gender-Aspekt betrifft jedoch nicht nur Frauen, sondern beide Geschlechter, und so widmet sich die Gender-Medizin auch der Männergesundheit. Denn auch Männer sind einerseits von ihrer Biologie geprägt und verhalten sich andererseits entsprechend ihrer gesellschaftlichen Rolle. Seit Generationen gilt die Frau als das schwache, der Mann als das starke
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