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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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zu hören. Prächtig liegt er da, der reichbemalte Hof. Eingang an der Giebelseite läßt auf einen Umbau Anfang des Jahrhunderts schließen. Die geschnitzte Eichentür mit dem Auge Gottes wirkt merkwürdig hineingekauft. Hölzerne Dachrinnen ragen weit heraus, von den Enden hängen Ketten in große, halb eingegrabene Bottiche, damit das Dachwasser nicht plätschert. Seitlich, unterm Schupf im Stallteil des Langhauses, wo der Bauer Sense und Rechen griffbereit hält, hängen ein Dutzend Sensen, Sicheln und Tandemrechen, darunter steht ein Hörnerschlitten mit einem Ster Holz beladen, daneben auf kleinen Rädern ein hölzerner Jauchewagen. Der Garten am Hang ist von einem altertümlichen Steckzaun umfriedet, drinnen leuchten Rosenkugeln, reichlich wie Christbaumschmuck, ein Brunnen plätschert in den ausgehöhlten Baumstamm, vom Laubengeländer quellen Geranien — echte, um diese Jahreszeit? — , rechts und links vom Eingang stehen wettergraue Hausbänke, die kleinen Fenster haben durchweg Sprossen, die Klappläden ummalte Gucklöcher und sind mit Sperrlatten gegen den Wind gesichert. Auf dem Dach ragt vorn das Firstkreuz auf, in der Mitte unter Schindeldach der reichverzierte Mast mit der Hofglocke, und die freiwillige Feuerwehr hat ihre eigene Wandnische: ein Florian aus verwittertem Lindenholz gießt Wasser auf einen Spielzeughof.
    „Sicher nicht die einzige Brandversicherung“, murmelt Lukas. Daniela drückt seine Hand. Jetzt geht’s erst los! heißt das.
    Sie treten ein. Wo das alte Flezpflaster erhalten ist, kann mit Einfühlung gerechnet werden, hat er herausgefunden. Beim Gästebuch, auf einem Schragentisch gibt’s den Begrüßungsschnaps, von einem Einheimischen gereicht. Geduldig schaut der drein, wie im Zoo der Wärter vom Affenhaus.
    Die abgelaugten Türen stehen einladend offen, es schweift der Blick: Hier ist alles, aber auch alles, was zwischen Napoleon und Hitler in der Alpenregion auf einen Hof gehörte, sei’s zum Gebrauch oder zur Zierde und nichts verfremdet. Kein Butterfaß als Schirmständer, kein Haberstab als Stehlampe, alles alt, alles an seinem Platz, wie auf einer Zeichnung von Quaglio.
    Stutzig machen die kurzen Bauernbetten im Stüberl. Wo wohnen die Leut? Kochen sie in dieser Küche ohne Elektroherd? Sie werden nicht in den Stall gebeten wie auf vielen Höfen, sie folgen der Musik, eine Stiege neben der inneren Stalltür zur Tenne hinauf, die aussieht, wie der obere Saal eines alten Wirtshauses mit Schanktisch am einen und Bühne am andern Ende.
    Es breughelt.
    Gelegenheitstrachtler sitzen mit weit ausgestellten Ellbogen männlich am Tisch, Honoratioren stoßen Naturlaute aus, knappe Dirndlmieder quetschen Hühnerbrüstchen zu Arschbackendekolletés. In der Mitte betätschelt ein selbstfröhlicher Sattsechziger mit Adlerflaum am Samthut, gesprenkelter Weste, charivari-schwer, und federkielbestickter Bundhose jeden Neuankömmling mit beiden Teddybärpratzn und sagt ihm, dat sei aber ne janz besondere Freude für ihn und lauter so ne Dingens. Frauen kriegen ne Büz.
    Auch Daniela. Knapp entschuldigt sie Renate, ausführlich stellt sie Lukas vor. Lieb schauen zwei wasserblaue Aujelschen den Männchenmaler an. „Aus Schottland komm’se? Wo hab’n se denn dat Röcksche jelassen?“
    Die Antwort, er wolle nicht mit dem Funkenmariechen verwechselt werden, erübrigt sich. Der Mann vom Rhein lacht schallend als sein eigener Pointentrompeter. Sie werden weitergeschoben, zwischen Tischreihen und überlegen wohin mit sich. Danielas Handdruck stellt die Frage.
    Lukas nickt vor sich hin. „Opernball für Seppeljecken!“
    „Ach du Schreck!“ Sie lächelt in eine Richtung, aus der ein dicklicher Mann mit rosa Krawatte und eine feurige Frischtoupierte winken, daß die Arschbacken im Ausschnitt bibbern.
    Jetzt rufen sie auch noch, haben Plätze freigehalten, als sie hörten, die Bühlhöfler kämen, sie stehen sogar auf, der Abgeordnete Schnuckchen und Gattin Lisbeth, mit dem wilden Odeur hinter der Sprühessenz.
    Rührende Anhänglichkeit ist eine Form von Zwang, gegen die Kinderstube kein Mittel bereithält — formuliert Lukas tonlos und hebt die Mundwinkel an. Sie setzen sich zwischen Rührende und Überurige. Der neben Lukas trägt zum Walkjanker eine Fellmütze mit Fuchsschwanz, wie Dave Crockett. Danielas Nachbar, mit blümchenbestickten Hosenträgern auf kariertem Hemd, hat auf dem Kopf das Barett des katholischen Geistlichen. Er sei Künstler, flüstert Lisbeth mit Rettichatem
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