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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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gemalt hatten. Trotzdem glaubte Gabor, dass Timothy übertrieb. Steigende oder fallende Grundstückspreise, das war vor allem Timothys Thema. Er und Maureen lebten nur aus diesem Grund nicht längst wieder in London. Sie hatten für ihr viktorianisches Häuschen in Belsize Park zwar so viel bekommen, dass sie bis zum Ende ihrer Tage gut in Griechenland, Südfrankreich oder Kroatien leben konnten, inzwischen waren die Preise in ihrer Heimatstadt aber so gestiegen, dass ihr übrig gebliebenes Vermögen nur noch für ein handtuchschmales Reihenhaus in den Außenbezirken reichte, und das kam für sie nicht infrage. Sie hatten den Aufstieg ihrer Insel und die damit einhergehende Bewegung auf dem ägäischen Immobilienmarkt deshalb mit großem Interesse verfolgt und gehofft, ihr kleines Örtchen würde, einmal von den Russen entdeckt, in die Topliga des internationalen Tourismus aufsteigen und dies würde die Quadratmeterpreise in jene schwindelerregenden Höhen treiben, die in Fiscardo auf Kefalonia, Thyra auf Santorini oder auf der heiligen Erde von Patmos verlangt und bezahlt wurden. Aber das war nicht geschehen. Dafür war das Wasser an ihren Buchten nicht türkis, die Steine an den familienfreundlichen Stränden nicht kugelrund und die Landschaft nicht mystisch genug. Ihre Insel war malerisch, wie es in den Reiseführern nichtssagend hieß, aber den meisten Fünf-Sterne-Gästen schlicht nicht dramatisch genug. Deswegen hatten Berit und er auch genau dort ihr Haus gekauft.
    »So schlimm wird’s schon nicht. Aber wenn ihr wirklich verkaufen wollt, höre ich mich gern um.«
    »Nicht nötig«, sagte Timothy wie erwartet.
    Endlich listete sein Postfach die neu eingegangenen Mails auf. Lavinia Seidler 8:50, in der Betreffzeile der Titel des Gemeinschaftsaufsatzes, dahinter, in fetten Buchstaben: »Zweite Version«. Drei Ausrufezeichen. Die Kollegin hatte Humor. Wollen Sie diese Nachricht wirklich löschen? Yes, formten lautlos seine Lippen, während er Return drückte. Er beendete das Telefonat so gut gelaunt, dass er Timothy nicht nur mehrmals dankte, sondern unvorsichtigerweise noch einen Anruf in Sachen Trinkwasser ankündigte.
    »Oh«, machte Timothy. »Always a pleasure.«

3
    Gabors Beine schmerzten nach dem ersten Arbeitstag wie nach einer langen Wanderung. Er fischte das letzte Stück Pizza vom Teller, nahm einen Schluck Rotwein und versuchte herauszuhören, ob das Kindergeschrei aus der Nachbarschaft Ausdruck von Begeisterung oder Angst war. Plastikeimer und Schaufeln lagen zwischen den letzten verfaulten Aprikosen auf dem verbrannten Rasen, den sie nicht mehr sprengen würden, weil er sowieso nicht mehr zu retten war. Die Äste des Baums waren gewachsen, drückten auf der einen Seite gegen die Holzlatten der Trennwand zum angrenzenden Garten und reichten auf der anderen schon durch die angerosteten Verstrebungen der Schaukel. Wenn die umtriebige Maureen, Herrin über zwei Morgen griechischer, mit Oliven, Feigen- und Nussbäumen veredelter Erde ihre klägliche Parzelle sähe, würde sie wahrscheinlich kurz mitleidig seufzen und dann mit perfidem Pragmatismus ausrufen: »Genau das Richtige – solange man berufstätig ist.« Auch Yann, dachte Gabor, konnte seine Verwunderung beim ersten Besuch in der Siedlung kaum verhehlen. Von der Parkbucht war er Gabor in den Kopfsteinanger, durch den Vorgarten mit der Birke und danach die Stufen hinauf in die niedrige Diele gefolgt, stand im nächsten Moment schon breitschultrig in der Terrassentür und nahm verdutzt den winzigen Garten und die Trennwand in Augenschein, unbeweglich wie ein Riese, der fürchtet, mit einer unbedachten Bewegung einen der filigranen Klappstühle umzuwerfen. Geradezu verlegen erzählte er von den Ländern, in denen er gearbeitet hatte, gab, als Berit nachfragte, nur ausweichende Antworten, als wollte er die abgezirkelte Idylle ihrer Welt nicht stören oder als könnten sie das, was er erlebt hatte, ohnehin nicht verstehen. Gabor hatte natürlich gesehen, was Yann dachte, während er mit Berit höflich über die Herkunft im Wind raschelnder Gräser sprach oder den Apfelkuchen lobte: »So lebt ihr also!«
    Durch die offene Küchentür hörte er jetzt Berits gedämpfte Stimme Malte etwas vorlesen, ein angenehmes Murmeln, das vom Schlag einer Tür und grellem Lachen von einem der Nachbargrundstücke unterbrochen wurde, um sich in der Stille danach umso beruhigender fortzusetzen. Am Morgen hatte er vor Yann so getan, als störte ihn Berits neue
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