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Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition)
Autoren: Joachim Feyerabend
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von sich zu geben, sondern erst ruhig zu überlegen, bevor er sich äußerte. Das wäre doch gelacht, er konnte sich doch nicht zum Werkzeug, zum Medium von etwas machen, das er nicht kannte, wohl aber um sich spürte!
    „Gut“, beschwichtigte auch Neil, „darüber werden wir noch ein paarmal schlafen und uns dann erneut beraten. Wichtig ist nur, dass wir uns im Grundsatz einig sind.“
    Lobster hatte inzwischen einen knallroten Kopf, der Postmaster schielte deutlich und Captain Prawn zog zu allem Überfluss eine Flasche Whisky aus seiner Joppe; ein weiteres Erbe der Holländerzeit. Es war ein „Bushmills“, etwas ganz Edles, das sich sonst keiner leisten konnte. Normalerweise tranken die meisten „Paddy “ , den irischen Gebrauchsschnaps für das gemeine Volk. Und auch der war teuer genug. Und dieser „Bushmills“ hier hatte sogar den Zusatz „Black“, das Siegel dafür, dass er mehr als zwölf Jahre gelagert worden war.
    Das unverhoffte Auftauchen des hochgeistigen Destillats wurde mit allgemein wohligem Grunzen begrüßt. Vor allem Lobster schnalzte mit der Zunge und genehmigte sich gleich, ohne den inzwischen von Cathleen neu herbeigeschafften Tee auch nurmehr eines Blickes zu würdigen, einen mehr als kräftigen Schluck „Bushmills“. Sein über und über sommersprossiges Gesicht glühte.
    Dann legte er los:
    „Herrschaften, das ist ja alles schön und gut! Aber was wird die Regierung in Dublin dazu sagen? Und erst die Partei Sinn Féin? Die lassen sich doch nicht einfach ausbooten. Kommt dann nicht vielleicht gar die Marine und heizt uns auf unserem Felsen kräftig ein? He? Habt ihr darauf auch eine Antwort?“
    Nun war es an Neil, etwas Gescheites von sich zu geben.
    „Wenn wir geschickte Propaganda machen, sind die erst einmal völlig überrascht. Wie ich schon sagte: Die ganze Weltpresse muss sich damit befassen. Schlagzeilen wie ‚Das alte keltische Reich steht wieder auf’ und ‚Der König im Atlantik’ müssen her. Dann haben wir die Sympathien der Leute auf unserer Seite und die Regierungsaffen werden es nicht wagen, uns mit Gewalt zu unterdrücken. Da bin ich sicher! Was auch haben sie schon an einem so lausigen Felsen außerhalb der eigentlichen Hoheitsgewässer zu verlieren? Sie werden gute Miene zum bösen Spiel machen und von Erhalt keltischer Identität, von Brauchtum und schutzwürdigem Interesse, von Gaeltacht, unserer Gemeinschaft gälisch sprechender Iren, tönen und uns schön in Ruhe lassen. Schließlich, und auch das müssen wir öffentlich wirksam ausschlachten, gelten wir zudem als die letzten Abkömmlinge der alten Milesain-Rasse noch aus der vorkeltischen Frühzeit, sind also weltweit etwas ganz Besonderes, sollten sogar Artenschutz genießen, hä, hä, so wie die Gorillas im tropischen Regenwald! Wir schließen ein entsprechendes Abkommen, das uns einen Sonderstatus gewährt und sogar militärischen Schutz bietet. So müssen wir das hindrehen! Außerdem sparen die Etatfüchse in der Hauptstadt damit das Geld, das sie bisher an uns zahlen. Ich kenne da in Dublin einen Journalisten, einen echten Zeitungsschmierer, der auch für einen amerikanischen Fernsehsender arbeitet. Für den wäre eine solche Kampagne ein gefundenes Fressen. Das dürft ihr mir glauben!“
    „Das hört sich gut an“, meinte Prawn, „ja, das hört sich verdammt gut an. Beim Heiligen Ciarán, die Sache beginnt, mir mächtig Spaß zu machen.“
    Und er haute sich vor Begeisterung klatschend auf die Schenkel. Der Alkohol zu nachmitternächtlicher Stunde begann mehr und mehr zu wirken, die Stimmen wurden lauter, es wurde gelacht, es wurden Pläne geschmiedet. Sicher würde Lobster, wie schon so manches Mal, seinen bevorstehenden Rausch im Freien ausschlafen und die anderen dürften etwas Mühe mit dem Heimweg haben. Aber was soll’s! Am St. Patrick’s Day war das halbe Eiland zwei Tage lang besoffen und jeder prahlte noch wochenlang mit dem größten Rausch aller Zeiten.
    Doch dann wurde die Runde unvermittelt ernst.
    Nachdem er den blinden Seher für das oberste Richteramt im neuen Staat vorgeschlagen hatte, rief Neil zum Schwur auf.
    Wie weiland die Schweizer Eidgenossen erhoben sich die Insel-Revoluzzer und reichten sich die Hände. Und Xirian reckte dazu feierlich seinen Knotenstock in die Höhe und verkündete inbrünstig: „Wir wollen einig Brüder sein! Lang lebe das Königreich Oiléan Ciarán.“
    Es war, als wehte ein Hauch aus grauer Vorzeit durch die rauchgeschwängerte Bude, das Feuer
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