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Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition)
Autoren: Joachim Feyerabend
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tutend und tuckernd in See, stampfte heftig, als sie aus dem engen Schlund der felsigen Hafeneinfahrt schräg gegenan in die mächtige atlantische Dünung eintauchte und, auf deren Rücken reitend, Kurs auf Bird Island absetzte, um zwischen dem Vogelfelsen und dem gefährlichen Bullig-Reef auf die Schären vor der Hafeneinfahrt des kleinen Fleckens Baltimore mit seinem Wahrzeichen, einem spitzen Leuchtfeuer am Hafen, zuzusteuern. Von Baltimore Mole an ging es per Lastwagen weiter in das nur wenige Meilen entfernte Marktzentrum Skibereen mit seinen bunt bemalten Häusern, seinen Banken, wie immer verlockenden Kneipen und dem River Ilen mit seiner Bootsanlegestelle mitten in der Stadt. Das Flüsschen mit den schilfbewachsenen Ufern ergoss sich bei Baltimore schließlich ins Meer. In Skibereen wurde sicher das eine oder andere Pint „Murphy’s“, „Guinness“, „Kilkenny“ oder „Harp“-Lager auf die erfolgreiche Expedition geleert werden, später ein Nachbrenner in Baltimore bei „Lister’s“ am Hafen, vielleicht, wenn die Abendkühle einfiel, ein Rum mit „Black Current“, ein sehr beliebter und tierisch starker Mix, der die Zungen löste und die Nasen rötete. Aber ein echter Caper und der Rest der Bevölkerung in der südlichen Grafschaft Cork tranken natürlich „Murphy’s“. Es wurde in der nahen, altehrwürdigen Universitätsstadt Cork gebraut. Bestellte sich einer ein „Guinness“, so konnte er kein Corkman sein und gab sich gleich als Fremder zu erkennen. Ja, die Feinheiten, auf die kam es an.
    Unterdes ging der Alltag auf Cape Clear seinen gewohnten Gang. Der Ledermacher saß am Tisch und zeichnete mit einer Schablone seine Ornamente auf die Rinderhäute, dann punzte er mit einem Hämmerchen die Konturen der wunderlich verschlungenen Figuren reliefartig nach, eine neue Tasche entstand.
    An der Westseite der Insel in einem kleinen See auf der Anhöhe wuschen ein paar Frauen die Klamotten ihrer Männer. Der See enthielt Natron und spülte den Schmutz aus, nichts da mit „Persil“ oder „Mr. Clean“. Die Natur schaffte das von alleine.
    An den Klippen schabten einige Kinder moosartige Algen ab, die nur im Frühjahr in der zurückweichenden Brandungszone gedeihen. Zu kleinen Bällen geformt und auf Darren getrocknet, gaben sie eine vorzügliche Suppe ab. Eine der O’Donohogues-Frauen stand mit gebeugtem Rücken in ihrem Rübenfeld und hackte, der alte Declan strolchte am Südhafen entlang und sammelte Strandholz für sein Feuerchen, auf dem er später Kartoffeln kochen wollte. Mit etwas Salz bestreut gab das sein Mittagsessen ab, fast jeden Tag. Mehr konnte er sich nicht leisten. Ab und an bekam Declan etwas Milch und ein paar Eier aus der Nachbarschaft heimlich vor die Tür gestellt, sozusagen gnadenhalber – eine willkommene Bereicherung seines spärlichen Küchenzettels. Alltag auf Cape, beschaulich, gemächlich, wie in all den Dekaden davor. Nur zögernd griff die neue Zeit nach den Insulanern. Die Ziffern und Zeiger der Uhren, hier galten sie wenig, hier wogen nur die Runzeln des Alters in den Gesichtern, deutliche Zeichen, dass die Tage dennoch im Sauseschritt vergingen.
    In der Jugendherberge war zurzeit so gut wie nichts los, die Freaks und Rucksackleute kamen erst im Sommer, wenn vom Atlantik her laue Lüfte über das begnadete Eiland zogen, besonders bei Südwind, denn da lagen irgendwo, weit hinter dem Horizont, die sonnenverwöhnten Azoren und die Blüteninsel Madeira. Dann saßen die jungen Männer und Mädchen vor der Herberge dem Wasser zu auf der Mauer und spielten Gitarre, träumten und verliebten sich. Abends scharten sie sich um den Kamin und sangen Lieder. Jeder war zum Vortrag eingeladen. Sie kamen aus ganz Europa, aus Frankreich, aus Deutschland, aus Holland und England, ja sogar aus Amerika. Cape hatte sich an den Lagerfeuern längst als Geheimtipp herumgesprochen, seine Einsamkeit, seine erhabene Stille, seine unverfälschte Natur und vor allem seine mystische Aura. Ein Hauch archaischer Frühgeschichte, er war hier fast überall zu spüren.
    Viele der fremden Besucher Capes verließen diesen Fels im Meer wie verzaubert und mit einer Art Windstille in der Seele, das Rauschen der Brandung noch im Ohr, den Geruch nach Salz und Tang in den Haaren.
    Oder war dies alles vielleicht auch nur den Schatten zu verdanken?

Die Begegnung
    Sean Walsh, ein dürres Männchen mit schütterem Blondhaar, stets eine goldgeränderte Brille auf der Nasenspitze, sah aus wie ein
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