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Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition)
Autoren: Joachim Feyerabend
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Götter des Meeres, wie Manannán etwa, die Feen, die geheimen Wissenschaften, Medizinen der Druiden? Nichts war aus diesen Zeiten je schriftlich überliefert worden, es war verboten. Die Lehrlinge der heiligen Männer mussten alles auswendig lernen, studierten oft zwanzig Jahre lang. So war heute das meiste dieses Wissens verschüttet, waren die profunden astronomischen Erkenntnisse, die Deutungen des Vogelflugs für die Zukunft im Rauch der Geschichte aufgegangen oder, wie bei Xirian, allenfalls noch rudimentär vorhanden.
    Er hatte sich über dieses Phänomen der Schatten bislang noch niemandem anvertraut, nicht einmal dem Inselpfarrer. Diese jungen Burschen aus Dublin, in der Regel vom Bischof wegen irgendeiner Unbotmäßigkeit zur Bewährung nach Cape ans Ende der Welt verbannt, was konnten sie schon wissen über die verborgenen Dinge des Lebens, über eine Welt, die wir Menschen nicht sehen, die aber für Xirian gleichwohl vorhanden war! Oder sagte ihm etwa nicht eine innere Stimme regelmäßig, dass in dieser Gegend ein Heilkraut gepflückt werden konnte, in einer anderen jedoch nicht? Da walteten Kräfte, die wir kleinen Menschlein nicht verstehen, auch nie begreifen können. Die zwangsversetzten Father zogen denn auch meist sehr bald aus der einsamen, Sturm umtobten Pfarre wieder ab. Sie verstanden die Caper nicht, verzweifelten schier an deren uralten, störrischen, überkommenen Aberglauben, den auch noch so viele Vaterunser nicht hinweg beten konnten. Nein, was sollten solche Schnösel, solche Grünschnäbel schon mit seinem Bericht über die Tuchfühlung zu einer anderen Sphäre anfangen können? Sie würden allenfalls von den bösen Mächten der Finsternis faseln und ihr Weihwasser versprengen. Da schwieg er lieber und wartete darauf, dass sich irgendwann von alleine eine Erklärung für die Stimmen und die unheimlichen Schattenwesen fand.
    Erneut bäffte er laut in die wallenden Nebel: „Was wollt ihr von mir?“
    Wieder keine Antwort. Gleichwohl aber glaubte er, nach wie vor die Anwesenheit von etwas Undefinierbarem, Geisterhaften zu spüren. Erneut fuchtelte er ärgerlich mit seinem Stock durch die Luft.
    Bald hatte der einsame Alte die Hochfläche erreicht, der Weg war weniger steinig und zog sich nun geradewegs bis zum anderen, östlichen Ende des Eilands hin. Nach einigen hundert Metern gluckte rechter Hand die kleine, bescheidene Kirche der Insel, deren Glöckchen in den Zeiten der Stürme, wie von Geisterhand bewegt, anschlug. Ihr Gebimmel wurde mit dem Wind als Mahnzeichen verweht, ein Mahnzeichen für die Ohnmacht des Menschen gegenüber den Urgewalten der Natur.
    Es war auch diesmal dasselbe wie bei den anderen Gelegenheiten seiner Begegnungen mit der Welt der Luftwesen; im Bannkreis des Gotteshauses verstummten jäh die geheimnisvollen Stimmen, ebenso wie an der heiligen, wundertätigen Quelle unten am Hafen. Dort stand eine Statuette der Gottesmutter Maria.
    Auch das gab dem alten Xirian mächtig zu denken.
    Seine beschwerliche Wanderung in jener Nacht diente einem ganz besonderen Anlass: Bei Neil, dem Ledermacher, war ein Geheimtreff des harten Inselkerns angesagt. Neil war der einzige Zuzügler unter ihnen. Als er vor vielen Jahren nach Cape gekommen war, hatte er im Gepäck eine schwere Steinplatte, die ihm als Unterlage für seine Lederarbeiten diente.
    „Das ist mal ein ehrlicher Mann, der wird hier bleiben, hat sogar schon seinen Grabstein mitgebracht!“, hatten sich die Insulaner zugeflüstert, und erstaunlich rasch waren er und seine Familie akzeptiert.
    An diesem Abend planten die Eingeborenen gewissermaßen eine Verschwörung gegen die Regierung im fernen Dublin, das die meisten von ihnen noch nie in ihrem Leben gesehen hatten und dessen Umtriebigkeit und Straßenverkehr sie erschreckt hätten, ganz abgesehen vom Gestank der Autoauspuffe und dem beizenden Rauch der Kamine in den Wintermonaten. Weder das Donnern moderner Düsenflugzeuge in den Lüften noch Hupen oder das Heulen von Einsatzfahrzeugen störten die himmlische Ruhe des abgeschiedenen Eilands.
    Es ging auf Mitternacht zu. Um diese Zeit wollten sie alle versammelt sein, im von ihnen so benannten Siebener-Rat. Außenstehende hätten ihn wohl eher die Insel-Mafia genannt, denn die selbsternannten Räte übten großen Einfluss auf alle anderen aus. Ohne sie ging nichts, aber auch gar nichts.
    Die Fenster von Neils Cottage waren dicht verhangen, nur ein spärlicher Streifen Lichts drang nach draußen und reflektierte sich
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