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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Autoren: Horst Petri
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Nicht nur im Märchen werden Geschwister durch ihr Vertrauen zusammengeschweißt, wenn das Misstrauen gegen die Umwelt wächst. Viele Beispiele im Alltag und vor allem in der psychotherapeutischen Erfahrung belegen diesen Zusammenhang. Geschwister verhalten sich dann so wie eine kleine soziale Gemeinschaft, die, wie die Sozialpsychologie lehrt, umso näher zusammenrückt, je mehr sie durch Außenbedrohungen gefährdet wird, oder in der der innere Stabilisator, etwa die Mutter, entfällt.
    Unabhängig von der Frage, ob die Beziehung zur Mutter durch Urvertrauen oder Urmisstrauen geprägt ist, lässt sich aus den bisherigen Überlegungen die Annahme rechtfertigen, dass die primäre Geschwisterliebe eine autonome Form des »Urvertrauens« einschließt, die zu einem tragenden Bestandteil der weiteren Entwicklung wird. Dagegen erscheint die Annahme eines »Urmisstrauens« zwischen Geschwistern, die definitionsgemäß in die früheste Phase ihrer Beziehung datieren würde, wenig haltbar, weil in diesem Stadium der Entwicklung die wechselseitigen Bedrohungen kein traumatisches Ausmaß annehmen.
    Mit dieser Annahme wird die verbreitete Theorie über die Geschwisterbeziehung auf den Kopf gestellt. Wenn diese nämlich von einer »primären Feindseligkeit« zwischen Geschwistern ausgeht, wäre es logisch, auch ein »Urmisstrauen« als grundlegend zu unterstellen. Dieses würde sogar, anders als in der Mutter-Kind-Beziehung, auch die Möglichkeit eines »Urvertrauens« zwischen Geschwistern ausschließen.
    Schon die äußere Beobachtung des Kontaktverhaltens des fiktiven Geschwisterpaares Klaus und Lisa führt aber diese Theorie ad absurdum. Wenn man allein auf der Zeitebene abmessen wollte, wie lange die Kinder jeden Tag freundlich und liebevoll miteinander umgehen, wie lange sie zusammen spielen, wie viel friedliche Zeit ihre vielfältigen anderen Tätigkeiten einnehmen und wie lange Ruhephasen dazwischen liegen, käme man beim Vergleich mit den Zeiten von Unfrieden, Streit und Ärger zu signifikanten Ergebnissen. Bei keinem Freundes-, Liebes- oder Ehepaar käme man auf die Idee, ihre Beziehung als »feindselig« zu charakterisieren, wenn lange Phasen der Harmonie und Liebe gelegentlich von einem Streit unterbrochen werden. Es ist meist unsere eigene Unfähigkeit, mit Konflikten und Aggression angemessen umzugehen, die uns so überempfindlich auf ganz natürliche Streitsituationen zwischenGeschwistern reagieren lässt. Wenn aber auch die Theorie diese Erwachsenenperspektive zur Grundlage ihres Konzeptes von Geschwisterbeziehungen gemacht hat, wird es Zeit, die Geschwisterliebe endlich auf die Füße zu stellen.

3.   Krippe, Kita und Schule –
der Weg ins Leben
    Seit im Jahr 2008 die Bundesregierung in Deutschland beschlossen hat, ab 2013 für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr einen Krippenplatz zur Verfügung zu stellen, ist, abgesehen von der Machbarkeit, eine heftige Debatte über das Für und Wider dieser frühen außerfamiliären Erziehung entbrannt. Bei der Entscheidung standen Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, speziell für Frauen, und die Verbesserung der Bildungschancen besonders für die unterprivilegierten Schichten der Bevölkerung und die Migrationsfamilien im Vordergrund.
    Hier sollen nur einige Überlegungen interessieren, welche Auswirkungen die immer früher einsetzende Sekundärsozialisation in Krippen und Kindergärten auf die Geschwisterbeziehungen haben. Vorab sei erwähnt, dass es, wie der Mentor der Geschwisterforschung in Deutschland Hartmut Kasten feststellt, bisher keine systematischen Befunde zu dieser Frage gibt. So können wir uns wieder nur an grundlegenden psychologischen Erkenntnissen und praktischen Beobachtungen orientieren.
    Am Anfang steht für die Geschwister die Erfahrung, dass das ältere Kind in die Kita kommt, während das jüngere gleichzeitigdie Krippe besucht. Dies dürfte nach der Neuregelung für die Zukunft die häufigste Variante der außerfamiliären Erziehung in der Frühkindlichkeit sein. Sehr viel problematischer und deswegen zu befürchten wäre die zweite Variante, nach der das erstgeborene Kind bereits mit einem Jahr in die Krippe gegeben wird, während das nachfolgende mindestens für ein Jahr die ungeteilte Geborgenheit in der Familie genießen kann. In diesem Fall könnte die Geburt des Geschwisters tatsächlich zum Trauma werden, weil sich das ältere dann nicht nur emotional vernachlässigt, sondern auch real ausgestoßen fühlt. Außerdem müssten
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