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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Autoren: Horst Petri
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Eltern und Erzieher erfahrungsgemäß zu der Ansicht neigen, dass erst die Institutionen von Krippe, Kita und Schule den Kindern das notwendige Rüstzeug zum Leben vermitteln, eine Einstellung, die tendenziell auch von administrativen Entscheidungsträgern geteilt wird. Besonders Geschwister widersprechen durch den Reichtum ihrer gemeinsam gemachten Erfahrungen eindeutig solcher Auffassung. Im Gegenteil dürften sie ihrerseits durch ihren speziellen Erfahrungsvorsprung die Gemeinschaft der Gleichaltrigen außerordentlich befruchten.
    Um diese Erfahrungen zu illustrieren, zitiere ich hier noch einmal das fiktive Geschwisterpaar Lisa und Klaus. Lisa besucht seit einiger Zeit die Krippe; Klaus ist zur gleichen Zeit inden Kindergarten gekommen. Nachmittags sehen sie sich wieder und verbringen die meiste der verbleibenden Zeit gemeinsam, weil sich die Mutter nach der Halbtagstätigkeit um viele Dinge im Haushalt kümmern muss, und der Vater, wie schon immer, erst spät nach Hause kommt. Ab jetzt erfolgen die Lernschritte in großer Geschwindigkeit. Lisa spricht bald die ersten Worte und läuft inzwischen geschickt durch die ganze Wohnung. Die Sprache und Motorik ihres Bruders haben sie angespornt. Aber natürlich ist da auch die Krippe, in der andere Kinder Lisas Lernbegierde stimulieren. Beide Quellen fließen jetzt ununterscheidbar zusammen und verstärken sich gegenseitig. Auch Klaus lernt in der Kita durch die »individuelle Förderung« durch fachlich qualifizierte Erzieher und durch die Gemeinschaft der anderen Kinder täglich Neues dazu, was er zu Hause üben und weiterentwickeln kann. Davon wiederum profitiert seine Schwester erheblich. So werden mit der Zeit ihre gemeinsamen Spiele immer fantasievoller. Versteckenspielen, Wettrennen, die Tapeten mit Fingerfarben vollschmieren, Faxen machen. Noch übertrifft Klaus seine Schwester in der Erfindung immer neuer Zirkusnummern. Bei beiden wächst mit der Bewunderung und Bestätigung durch den anderen der Stolz auf ihre Fähigkeiten.
    Noch brauchen sie diese wechselseitige narzisstische Spiegelung und können sie sich unbekümmert zeigen. Trotz der bereits erfolgten Differenzierung in zwei selbstständige Ich-Strukturen bildet der Narzissmus noch einen wichtigen Bestandteil ihrer Liebe. Leider wird dieser »gesunde« Narzissmus unter dem Diktat moralischer Verbote alsbald verdrängt – sehr zum Schaden der späteren Geschwisterbeziehung.
    Eines Tages wird Klaus eingeschult; Lisa besucht schon seit einem Jahr die Kita. Inzwischen ist aus ihr ein »richtiges Mädchen« und aus Klaus ein »richtiger Junge« geworden. Die Sprachwendung bezeichnet wohl am ehesten die jetzt definitiveGeschlechtszugehörigkeit der Kinder. Ihr eigenes Gefühl für ihre unterschiedliche Identität ist sowohl das Ergebnis einer veränderten Körperwahrnehmung wie auch der entsprechenden Rollenzuschreibung und Rollenerwartung durch die Eltern und Erzieher.
    Die beiden Geschwister sind durch die Erfahrungen in der Krippe und in der Kita selbstständiger und mutiger geworden. Sie dürfen jetzt nachmittags zusammen auf den nahe gelegenen Spielplatz gehen. Damit wird die Außenwelt enorm erweitert und muss neu erobert werden. Straßen, Plätze, Menschenmassen, der Lärm der Stadt – das bunte Kaleidoskop der Welt beginnt sich um sie zu drehen. Atemlos schauen sie zu, halten sich an den Händen – der Halt am anderen   –, schützen sich vor Gefahren, vor vorbeifahrenden Autos, rasenden Radfahrern, vor keifenden Erwachsenen. Und die beiden lachen, lachen, lachen: über die nackte Schaufensterpuppe in einem Kaufhaus, über den Mann, der leere Flaschen in eine Plastiktüte sammelt, den komischen Hut einer Frau, den witzigen Hund, der an eine Laterne pinkelt. Das wirkliche Abenteuer des Lebens hat begonnen, und die beiden stehen mittendrin. Viel Angst haben sie nicht dabei, sie sind ja zu zweit. »Hansel und Gretel«, »Brüderchen und Schwesterchen« – zur Not könnten sie das Leben und seine Gefahren auch ohne Eltern meistern – gemeinsam sind sie stark. Aber natürlich ist es schöner, wenn ihnen die Eltern dabei helfen, wenn ihre Liebe sie zusätzlich trägt und wenn sie sich in der Gruppe akzeptiert und unterstützt fühlen. Dadurch bekommen sie ein Selbstvertrauen, mit dem sie auch dem anderen in Notsituationen beistehen können.
    Auf dem Spielplatz lernen sie fremde Kinder kennen. Mit manchen kann man gut spielen, mit anderen gibt es Streit. In einer Sandkiste verteidigt Klaus Lisas
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