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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Autoren: Horst Petri
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beide Geschwister, deren Zweisamkeit jeden Tag für einen längeren Zeitraum auseinandergerissen wird, auf die fundamentalen, weil Bindung stiftenden Erfahrungen in der ersten Lebensphase verzichten. Dass unter diesen Bedingungen die basale Entwicklung ihrer Geschwisterliebe dauerhaften Schaden erleiden kann, ist nicht auszuschließen.
    Die erste Variante vorausgesetzt, ist mit dieser Erfahrung für beide Geschwister ein erster schmerzhafter Einschnitt in die Ausschließlichkeit ihrer Welt verbunden. Die primäre Harmonie ihres Kinderparadieses zerbricht, und sie machen eine Grunderfahrung, die in vielen Facetten ihr weiteres Leben begleiten wird – die Trennungserfahrung. Wie wir heute wissen, sind solche Erfahrungen besonders in der Frühkindheit sehr schmerzhaft, aber unvermeidbar. Und sie sind wichtig, weil sie Kindern helfen, eine ausreichende Trennungstoleranz zu entwickeln, die sie auf spätere Trennungserfahrungen vorbereitet. Wie wir wissen, reichen diese bis zur Geburt zurück, bis zur Urtrennung von Mutter und Kind nach der Schwangerschaft. Die folgende Phase der Mutter-Kind-Beziehung ist durch einen subtilen Wechsel von Trennung und Wiederannäherung gekennzeichnet, der die Ablösung des Kindes von der Mutter schrittweise vorbereiten hilft. Diese Separation ist der notwendige Weg zur Individuation und Autonomie. Geschwister unterstützensich bei dem wichtigen Ablösungsprozess von der Mutter, indem sie spätestens vom Kindergartenalter an die Separationsschritte bei sich selbst einüben. Indem sie sich täglich aufs Neue trennen müssen und sich anschließend wiedersehen, ritualisieren sie die dialektischen Vorgänge von Separation, Wiederannäherung und Individuation als identitätsstiftende Erfahrung.
    Diese Reifungsschritte in der menschlichen Entwicklung sind von der Forschergruppe um die Psychoanalytikerin Margaret S.   Mahler in Direktbeobachtungen von Müttern, Kindern und ihren Geschwistern sehr gründlich untersucht worden. Das besondere Verdienst dieser Grundlagenforschung liegt darin, dass sie nicht nur die Dynamik der Mutter-Kind-Beziehung berücksichtigt, sondern auch die Frage einbezieht, wie Geschwister in die komplexen Prozesse von Separation und Individuation eingreifen. So verdanken wir der Forschergruppe die anschaulichsten Beschreibungen über die schmerzlichen Erfahrungen, die die Geburt eines Geschwisters für das anwesende Kind bedeuten kann, aber vor allem auch über den wechselseitig fördernden und beschleunigenden Einfluss der Geschwister bei der Überwindung der Mutter-Kind-Symbiose. Die Trennungserfahrungen, die die Geschwister dann später untereinander machen, bedeuten nochmals einen wichtigen Entwicklungsschub in Richtung der eigenen Identitätsfindung.
    Aber zunächst müssen sie beim Eintritt in die Krippe und die Kita, wie Einzelkinder auch, die Trennungsangst und den Trennungsschmerz ertragen, die durch den zeitweiligen Verlust des familiären und geschwisterlichen Schutzes auftreten. Wie Einzelkinder auch müssen sich Geschwister in der neuen Umgebung orientieren, sich an neue Erwachsene gewöhnen, sich in die fremde Kindergruppe einleben und lernen, sich als Person zu behaupten. Aber im Unterschied zu den Einzelkindern haben sie den großen Vorteil, täglich nicht nur in die häuslicheGeborgenheit, sondern in das geschwisterliche Zusammensein zurückkehren zu können.
    Aufgabe der öffentlichen Erziehung ist neben der Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten verschiedener Art die Vermittlung von sozial verbindlichen Werten wie Rücksichtnahme, Zusammenspiel, abgeben und teilen, Besitz verteidigen und respektieren, zuhören und sich mitteilen, Kontaktangebote machen und annehmen, eintreten für Schwächere und viele andere Verhaltensweisen, die die Anpassung an eine größere soziale Gemeinschaft und die Freiheit und Aufgehobenheit in ihr garantieren.
    Diese Werte bewähren sich im konkreten Umgang mit anderen Kindern, insbesondere im Aufbau von Freundschaften. Da empirische Befunde fehlen, muss es eine Vermutung bleiben, dass es Geschwister im Erlernen dieser Wertmuster leichter haben als Einzelkinder. Schließlich resultieren sie aus den ungezählten Lernschritten ihrer frühen Kindheit. Wie sahen diese konkret aus? Die Antwort lässt sich durch einige Alltagserfahrungen veranschaulichen. Sie verdeutlichen die subtilen Voraussetzungen, die Geschwister in die außerfamiliäre Sozialisation einbringen. Ich möchte diesen Punkt hier ausdrücklich betonen, weil viele
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