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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel
Autoren: Michael Köhlmeier
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wortwörtlich gemeint: »Du sollst unter ihm liegen!«
    Aber Lilith wollte nicht die Unterlegene sein. Und sie wollte nicht unter Adam liegen, wenn sie sich liebten. Und sie wollte nicht zusehen, wenn er den Tieren Namen gab und dabei so umständlich vorging – Mücke, Elefant, Wurm, Blauwal … Sie mischte sich ein.
    »Was machst du da!« sagte sie. »Du nimmst den Wurm nach dem Elefant dran und den Flamingo nach der Schnecke.«
    »Warum denn nicht?« fragte Adam.
    »Soll die Natur denn keine Ordnung haben?« sagte Lilith.
    »Warum denn?« fragte Adam.
    »Damit man sich auskennt.«
    »Wer soll sich auskennen?«
    »Damit wir uns auskennen. Wir und unsere Kinder.«
    »Unsere Kinder?«
    »Willst du keine Kinder?«
    »Wie die Tiere?«
    »Nicht so wie die Tiere. Anders als die Tiere.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Weil du die Natur nicht verstehst.«
    »Und warum verstehe ich die Natur nicht?«
    »Weil du keine Ordnung in die Natur bringst.«
    »Und wie bringe ich Ordnung in die Natur?«
    »Zum Beispiel, indem du die Tiere in Gruppen einteilst. In solche, die Eier legen, und solche, die keine Eier legen. Solche, die fliegen, und solche, die nicht fliegen. Solche, die vier Beine haben, und solche, die sechs Beine haben, und solche, die acht Beine haben.«
    Adam gefiel das nicht, und er beschwerte sich bei Gott: »Sie tut nicht, was ich will. Und sie will, daß ich Dinge tue, die ich nicht will.«
    Und Gott sagte: »Man muß vielleicht Geduld mit ihr haben.«
    Und Adam hatte Geduld mit ihr. Aber Lilith wollte nicht unterlegen sein. Sie wollte es nicht. Und sie wollte Ordnung in die Natur bringen. Da gab es Streit. Streit zwischen Adam und Lilith. Streit war in Gottes Plan nicht vorgesehen. Warum auch sollte ein vollkommenes Wesen wie Adam streiten? Mit Unbehagen beobachtete Gott seine Geschöpfe – und kratzte sich dabei am Unterarm …
    Und dann hatte Adam keine Geduld mehr. Er wollte Lilith befehlen. Aber Lilith ließ sich nichts befehlen. Sie ging. Sie verließ Adam.
    Sie ging in die Wüste. In der Wüste hausten Dämonen. Sie waren übriggeblieben aus der Zeit vor Gottes Schöpfung. Unbrauchbare Wesen, die kein Gesetz, keine Ordnung, keinen Sinn kannten, aber ungefährlich waren für Gottes Werk, weshalb er sich nicht um sie gekümmert hatte. Mit diesen Dämonen verkehrte Lilith. Es heißt, daß sie pro Tag mit tausend Dämonen verkehrte und daß sie tausend Kinder pro Tag zur Welt brachte, kleine, verführerische Quälgeister, nach Größe, Gewicht, Haarfarbe und Zahnstellung sortiert …
    Gott sah den jammernden Adam und schickte Michael zu Lilith, damit er sie zur Vernunft bringe und zu Rückkehr und Disziplin überrede.
    Michael sagte zu Lilith: »Wir beide, du und ich, wir wissen, warum du so bist, wie du bist, und ich bin daran nicht unschuldig. Also bitte ich, der größte der Erzengel, dich: Kehre zu Adam zurück.«
    Lilith sagte: »Glaubst du, daß er mich jetzt noch will? Oder glaubst du, daß ich ihn noch will? Glaubst du wirklich, daß ich eine Hausfrau werden kann, eine ganz normale Hausfrau, nachdem ich mit den Dämonen der Wüste verkehrt habe? Nein!«
    Das sah Michael ein.
    Er trat vor Gott hin: »Ich kann dir keine Ratschläge geben, was deine Sache betrifft, aber ich glaube, du mußt eine neue Frau machen.«
    Und Michael überredete Gott dazu, frische Erde dafür zu nehmen.
    Gott dachte sich: Vielleicht ist es gut, wenn Adam Zeuge meiner Schöpferkraft wird. Wenn er zusieht, wie ich seine Frau aus Lehm forme. Wenn er gleich zu Beginn seines Daseins Einblick gewinnt in die Anatomie. Wenn ich ihn an meinem Geheimnis teilhaben lasse.
    Er schöpfte mit seinem Fingernagel Erde von allen Kontinenten, rief Adam, bat ihn, sich niederzusetzen und ihm zuzusehen, und erlaubte ihm, Fragen zu stellen, wenn er etwas nicht verstehe, und begann den Lehm zu kneten. Spuckte darauf, knetete, walkte, spuckte abermals darauf, knetete. Bis ein glatter Teig war.
    »Aus diesem Stoff habe ich dich gemacht«, sagte Gott zu Adam.
    Adam nickte.
    »Und aus diesem Stoff werde ich dir eine Frau machen.«
    Adam nickte.
    Gott begann mit dem Gesicht. Er strengte sich an, formte ein besonders zartes Gesicht.
    »Weißt du«, sagte er zu Adam, »zuerst werdet ihr euch ansehen. Deshalb will ich ihr Gesicht als erstes machen.«
    Es sollte ein freundliches Gesicht werden. Gott formte ein Lächeln, und in die Wangen drückte er Grübchen, die entzücken sollten.
    Und Adam war entzückt. Voll Ungeduld und Verlangen sah er zu, wie unter
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