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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Autoren: Heinrich August Winkler
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eigen.
    Eine zweite Notabelnversammlung, die auf Neckers Initiative im November und Dezember 1788 tagte, zeigte sich uneinsichtig und lehnte die Vorschläge des Ministers ab. Beim König vermochte er immerhin eine Forderung des Dritten Standes, die nach Verdoppelung seiner Mandate und damit nach einem numerischen Gleichgewicht zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten, durchzusetzen. Die andere Forderung, die Abstimmung nach Köpfen, wollte der König nicht übernehmen. Es lag auf der Hand, daß auch viele Adlige und Angehörige des niederen Klerus mit den Vertretern des Dritten Standes stimmen und diesem zur Mehrheit verhelfen würden, wenn die Stände nicht en bloc abstimmten, sondern die Stimmen der einzelnen Mitglieder der Versammlung, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem der drei Stände, ausgezählt wurden.
    Der ersten Zusammenkunft der Generalstände ging ein von den Behörden unbehinderter Wahlkampf voraus. An der Wahl der Vertreter des Dritten Standes konnten auf der untersten Stufe des mehrstufigen Wahlverfahrens alle männlichen Bürger teilnehmen, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten und in die Stimmlisten eingetragen waren. überall unterbreiteten die Wähler den Wahlmännern ihre Wünsche und Klagen in Form von Beschwerdeheften («cahiers de doléances»). Bei der Formulierung halfen vielfach Advokaten mit, die auch einen erheblichen Teil der Delegierten stellten. In den Wahlversammlungen der privilegierten Stände setzten sich häufig niedere Kleriker und Adlige durch. Bei den Adligen durften auch die Frauen mitwählen.
    Doch nicht überall verlief die Zeit der Wahlagitation friedlich. Im Frühjahr 1789 herrschte in großen Teilen Frankreichs eine Hungersnot. Vielerorts rebellierten die städtischen und ländlichen Unterschichten, besonders heftig in Paris, der Provence und der Picardie. Der Zorn auf die materiellen Entbehrungen machte sich immer wieder in Plünderungen von Getreidewagen, Vorratslagern und Bäckereien Luft. Französische Historiker sprechen im Hinblick auf die Monate vor dem Zusammentreten der Generalstände von einer «prérévolution», einer Vorrevolution.
    Am 5. Mai 1789 eröffnete König Ludwig XVI. in Versailles die konstituierende Versammlung der Generalstände. Insgesamt gehörten dem Gremium 1165 Abgeordnete an, davon rund die Hälfte dem Dritten Stand und jeweils ein Viertel dem Ersten und dem Zweiten Stand. Die Mehrheit der Delegierten des Ersten Standes, des Klerus, bestand aus einfachen Pfarrern, die der Sache des Dritten Standes zuneigten. Bei den Mitgliedern des Zweiten Standes, des Adels, belief sich die Zahl der Delegierten, die mit den Nichtprivilegierten sympathisierten, immerhin noch auf ein Drittel. Zu den Delegierten des Dritten Standes gehörten auch Kleriker und Adlige, darunter der Abbé Emmanuel Joseph Sieyès, der Autor der Programmschrift «Was ist der dritte Stand?», und Honoré Gabriel de Riqueti, Graf von Mirabeau, einer der wirkungsvollsten Redner der Versammlung.
    Da weder der König noch Necker sich zu der Frage äußerten, ob in den Generalständen nach Ständen oder nach Köpfen abgestimmt werden sollte, bereiteten sie ungewollt den Schritt vor, der den Übergang zur Revolution bedeutete: Am 17. Juni stellte der Abbé Sieyès in einer Sitzung, an der nur die Delegierten des Dritten Standes und eine größere Zahl von Pfarrern teilnahmen, den Antrag, die Versammlung solle sich zur Nationalversammlung (Assemblée nationale) erklären, da sie bereits jetzt 96 von 100 Franzosen vertrete.
    Der Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Am 19. Juni stimmte eine knappe Mehrheit der Kleriker für den Anschluß an die Nationalversammlung. Am 20. Juni trafen sich die «revolutionären» Delegierten in einem Saal des Ballhauses, wo sie den Schwur ablegten, nicht auseinanderzugehen, bevor eine Verfassung beschlossen worden sei.
    Als am 23. Juni der König in einer «Séance royale», einer Gesamtsitzung der Generalstände, einerseits in vager Form Reformen versprach, andererseits getrennte Tagungen der drei Stände anordnete, verweigerte ihm die Versammlung den Gehorsam. Mirabeau erklärte, an den Generalzeremonienmeister des Königs gewandt, in improvisierter Rede, wenn dieser den Auftrag habe, die Abgeordneten zu vertreiben, müsse er den Befehl zur Gewaltanwendung einholen, «denn wir werden uns von unseren Plätzen nur durch die Gewalt der Bajonette vertreiben lassen».
    Vier Tage später, am 27. Juni, gab der König nach: Er forderte
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