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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Autoren: Heinrich August Winkler
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beseitigen oder mindestens abzubauen. Eben damit forderte Turgot den massiven Widerstand des Parlaments von Paris heraus. Als sich auch Königin Marie Antoinette, die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, die Brüder des Königs, der Hofadel und der hohe Klerus gegen ihn stellten, war seine Stellung nicht mehr zu halten. Nach nur zwei Jahren im Amt wurde Turgot im Mai 1776 vom Monarchen entlassen.
    Im Jahr darauf machte Ludwig erneut einen Reformer zum Finanzminister: den Genfer Bankier Jacques Necker, einen bekennenden Calvinisten. Er finanzierte Frankreichs Beteiligung am amerikanischen Krieg, die er persönlich für einen schweren Fehler hielt, nicht durch höhere Steuern, sondern durch Anleihen und trieb damit die Staatsverschuldung weiter in die Höhe. Um die Macht der Parlamente zu brechen, führte Necker in zunächst vier Provinzen Notabelnversammlungen mit beratender Funktion ein. 1781 machte er in Gestalt eines öffentlichen Rechenschaftsberichts an den König erstmals in der französischen Geschichte das Staatsbudget bekannt, wobei er allerdings für die Einnahmen eine zu hohe und für die Ausgabe eine zu niedrige Summe nannte und damit das tatsächliche Defizit verschleierte. Die Publizierung des Budgets löste am Hof Empörung aus; die Forderung nach einer Notabelnversammlung für ganz Frankreich brachte die Parlamente weiter gegen Necker auf. Nach vier Jahren endete 1781 seine (erste) Ministerzeit mit der Entlassung durch den König.
    Neckers Annahme, eine Notabelnversammlung würde einer energischen Reformpolitik zugute kommen, erwies sich als irrig. Im Februar 1787 berief Ludwig auf Drängen von Finanzminister Calonne eine Versammlung von ausgesuchten Notabeln aus dem ganzen Land nach Versailles ein. Da auch hier der Adel das Sagen hatte, fand sich keine Mehrheit für einen Verzicht auf die Steuerfreiheit der beiden privilegierten Stände, Klerus und Adel.
    Unter Calonnes Nachfolger Brienne spitzte sich in den folgenden Monaten der Konflikt zwischen der Regierung und den Parlamenten weiter zu. Im Mai 1788 erzwang der König durch einen einseitigen Richtspruch (lit de justice) die Registrierung (enregistrement) und auf diesem Weg die Rechtsgültigkeit von sechs Edikten zur Justizreform und zur Entmachtung der Parlamente. Da Ludwig damit unter Berufung auf seine Prärogative das wichtigste Recht der Parlamente, die Registrierung königlicher Verfügungen, angegriffen hatte, war deren Reaktion massiv: Sie verhinderten die Justizreform durch Obstruktion und taten, wozu dem König und den Ministern der Mut fehlte: Sie appellierten an das Volk, das sich mancherorts tatsächlich gegen die vermeintliche Monarchenwillkür erhob und auch vor Angriffen auf Soldaten des Königs nicht zurückschreckte.
    Im August 1788 sahen sich König und Regierung genötigt, der öffentlichen Meinung entgegenzukommen und zum 1. Mai 1789 Generalstände (états généraux) für ganz Frankreich einzuberufen. Eine Versammlung der Generalstände hatte letztmals 1614, zur Zeit König Ludwigs XIII., stattgefunden. Es war ein Zeichen für die Tiefe der Krise, daß 175 Jahre später ein «absoluter» Herrscher auf ein derart «feudales» Vertretungsorgan zurückgriff. Die öffentliche Meinung, ermutigt durch die im August 1788 zugestandene weitgehende Pressefreiheit, sah in den Generalständen freilich etwas anderes als der König, nämlich eine Möglichkeit, die Stimme Frankreichs zu Gehör zu bringen. Das konnte nur unter drei Bedingungen gelingen: Erstens mußte der Dritte Stand, die nichtprivilegierte Gesellschaft, über mindestens ebenso viele Stimmen verfügen wie Klerus und Adel zusammen. Zweitens mußte in der Versammlung nicht nach Ständen, sondern nach Köpfen abgestimmt werden.
    Ein weiteres Zeichen der politischen Krise war die Wiederberufung Jacques Neckers am 26. August 1788. Frankreich stand am Rande des Staatsbankrotts; es litt unter den Folgen des Hochwassers vom Vorjahr, einer schlechten Ernte und der dadurch verschärften allgemeinen Teuerung, vor allem bei den Getreide- und folglich auch bei den Brotpreisen. Hauptbetroffene waren die städtischen Unterschichten, die kleinen Bauern und die Tagelöhner, die zusammen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Necker wollte durch politische Zugeständnisse der wachsenden Unzufriedenheit die Spitze nehmen: Er machte sich die Forderung des Dritten Standes hinsichtlich der Zusammensetzung der Generalstände und des dort geltenden Abstimmungsmodus zu
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