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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Autoren: Heinrich August Winkler
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weigerte sie sich aber beharrlich, ihrerseits einen Anteil an den öffentlichen Lasten zu übernehmen, der ihren Einkünften und ihrem Besitz entsprach. Viele Bischöfe hatten sich dem Lebensstil weltlicher Grandseigneurs angepaßt. Sie verfügten über die dazu nötigen Mittel und lebten oft weniger in ihren Diözesen als in Versailles, wo sie einen Teil des Hofstaates bildeten.
    Für sämtliche Bischofssitze und viele Abteien besaß der König von Frankreich seit dem Konkordat von 1516, einem ganz vom staatskirchlichen Geist des Gallikanismus geprägten Vertrag zwischen Franz I. und Papst Leo X., das alleinige Präsentationsrecht. Die Nachfolger Ludwigs XVI. nutzten dieses Recht zur Versorgung jüngerer Söhne des Hochadels, den sie damit weiter an sich banden. Ungewollt war die Kehrseite dieser Art von Verweltlichung oder Säkularisierung der französischen Kirche: Die materielle Privilegierung von Bischöfen und äbten förderte die Entfremdung zwischen hohem und niederem Klerus und die Abwendung großer Teile der Bevölkerung von Kirche und Religion.[ 180 ]
    Der französische Adel hatte in der Blütezeit des Absolutismus alle Funktionen verloren, die einmal der Grund seiner Privilegierung gewesen waren. Die Aufgaben des Schwertadels, der «noblesse d’épée», hatte seit langem das stehende Heer übernommen; die höchsten Beamten des Königs entstammten unter Ludwig XIV. meist nicht dem alten Hochadel, sondern waren Bürgerliche oder Angehörige der «noblesse de robe», also geadelte Bürgerliche oder deren Nachkommen. Unter Ludwig XVI. vollzog sich dann eine geradezu demonstrativ wirkende «Refeudalisierung»: Seine Minister entnahm der König, mit der einzigen Ausnahme Neckers, den Kreisen des Schwertadels.
    Der französische Adel war vor allem Hofadel. Landbesitz ließen die wohlhabenden Aristokraten durch Pächter verwalten. Sie unterschieden sich damit vom deutschen Adel, soweit dieser über Grundbesitz verfügte. In Preußen und im sonstigen Ostelbien, den Gebieten der Gutsherrschaft, bewirtschafteten die Adligen ihre Güter meist noch selbst; im Westen Deutschlands, den Gebieten der Grundherrschaft, verpachteten die Adligen ihr gesamtes Ackerland in der Regel an Bauern. Die Entfremdung zwischen Adel und Bauern war in Frankreich folglich ungleich stärker als in Deutschland.[ 181 ]
    Der Hauptunterschied zum Adel in England lag darin, daß es in Frankreich keinen fließenden Übergang zwischen Bürgertum und Adel gab. Während in Großbritannien der Titel eines Adligen nur auf dessen ältesten Sohn überging und die übrigen Commoners waren, erbten in Frankreich alle Söhne eines Herrn von Adel dessen überlieferten Titel. Der Aufstieg vom Bürgertum in den Adel, in England eine alltägliche Erscheinung, bedeutete im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts Aufnahme in die «noblesse de robe» durch Kauf eines Adelstitels oder im Zusammenhang mit der Ausübung eines wichtigen Amtes in Staat oder Gemeinde, wobei der Erwerb eines solchen Amtes ebenfalls meist durch Kauf erfolgte. Im späten 18. Jahrhundert wurde diese Art der Adelung stark eingeschränkt: Der Altadel setzte in den achtziger Jahren durch, daß freiwerdende Ämter und die Offizierslaufbahn nur noch Bewerbern zugänglich waren, die vier Generationen Adel nachweisen konnten.
    Zum Selbstverständnis des französischen Adels gehörte, daß er eine wirtschaftliche Betätigung in Handel, Gewerbe und Industrie verachtete. Die Ausübung bürgerlicher Berufe zog den Verlust der Adelsprivilegien nach sich, es sei denn, es handelte sich um Tätigkeiten im Übersee- und Kolonialhandel, im Bergbau oder Hüttenwesen, was jedoch seltene Ausnahmefälle waren. Die wirtschaftliche Grundlage des Adels blieb der Grundbesitz, wobei zu den direkten Einkünften aus den Gütern die aus der Verpachtung von Land an Bauern und aus Abgaben der Bauern in Geld- und Naturalform kamen. Rund ein Fünftel des französischen Bodens, und zwar häufig besonders fruchtbarer Boden, war in adligem Besitz. Reichen Gewinn warfen manche der öffentlichen Ämter ab, die traditionell von Aristokraten ausgeübt wurden. Gekrönt wurde die Privilegierung des Adels durch die Befreiung von den meisten Steuern, darunter der «taille», einer jährlich erhobenen Kopfsteuer, und von einigen Verbrauchssteuern wie der auf Wein.
    So provozierend wie die materiellen Vorrechte des Adels waren die immateriellen Auszeichnungen, deren er teilhaftig wurde. Ihm stand das Vorrecht zu, Waffen zu tragen und
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