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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke
Autoren: Robert Musil
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unreifen Stellen darin nicht zu verbessern. Damals – ich spreche jetzt wieder von der Zeit, wo ich mich mit dem vermeintlichen zweiten Buch zu tragen begann — hätte auch die Geschichte Tonka hineinkommen sollen, mit der ich inzwischen in dem Novellenband Drei Frauen etwas kurz verfahren bin. Ehe ich mein zweites Buch schrieb (Vereinigungen), hatte ich auch schon mein drittes, das Theaterbuch Die Schwärmer begonnen, und ehe ich dieses veröffentlichte, waren die Drei Frauen dem Material nach nahezu abgeschlossen. Ich bilde mir nicht ein, daß ein solches Übergreifen, eine solche frühe Wahl der Stoffe ungewöhnlich ist. Im Gegenteil, sie dürfte sogar die Regel bilden. –––––––
    Machen wir hier eine Zwischenbilanz; was hat sich bisher ergeben? Dieser R. M., von dem ich jetzt spreche, als wäre ich nicht er selbst, — ich empfand starke Widerstände dagegen, von mir zu erzählen, obgleich ich mich entschließen mußte, es zu tun; aber so fängt es an, mich zu interessieren, da es mir selbst neu ist —, dieser Schriftsteller ist von großer Gleichgültigkeit gegen seine Stoffe. Es gibt Schriftsteller, die von einem Stoff gepackt werden. Sie fühlen: mit diesem oder keinem; es ist wie die Liebe auf den ersten Blick. Das Verhältnis des R. M. zu seinen Stoffen ist ein zögerndes. Er hat mehrere gleichzeitig und behält sie bei sich, nachdem die Stunden der ersten Liebe vorbei sind oder auch ohne daß sie dagewesen sind. Er tauscht Teile von ihnen willkürlich aus. Manche Teilthemen wandern und kommen in keinem Buch zum Ausdruck. Er hält offenbar das Äußere mehr oder weniger für gleichgültig. Und was bedeutet das? Hier kommt man schon auf das Problem, in welchem Verhältnis Inneres und Äußeres der Dichtung zueinander stehen. Es ist eine Binsenwahrheit, daß sie eine untrennbare Einheit bilden, aber wie sie das tun, ist weniger bekannt, ja es ist teilweise ganz unbekannt. Wir werden hier also sehr vorsichtig sein und vor allem wahrscheinlich mehrere verschiedene Arten dieser Synthese unterscheiden müssen. Auf den ersten Blick sieht es, nach dem, was ich erzählt habe, aus, als ob diese Synthese bei mir besonders schwach wäre; und die Wahrheit ist das Gegenteil davon, soweit ich es beurteilen kann. Bediene ich mich des Biographischen, um in dieser grenzenlosen Frage einen Leitfaden zu haben, so muß ich sagen, daß es zu Anfang, als ich den Törleß schrieb, das Problem für mich überhaupt nicht gegeben hat, daß es sich aber danach ganz plötzlich und mit stärkster Ausdrücklichkeit meiner bemächtigte. Ich erinnere mich noch an das Prinzip, von dem ich mich bei der Niederschrift des Törleß leiten ließ. Ein Prinzip der geraden Linie als der kürzesten Verbindung zwischen zwei Punkten. Keine Bilder gebrauchen, die nicht etwas zum Begriff beitragen, Gedanken – obwohl es mir sehr auf sie ankam – fortlassen, wenn sie sich nicht mühelos in den Gang der Handlung einfügen. Obwohl ich also auf die Handlung keinen Wert legte, gab ich ihr instinktiv große Rechte. Ich unterwarf mich einer improvisierten — und wie der Erfolg zeigte, richtigen Vorstellung von dem, was Erzählen sei, und begnügte mich, zu meiner Genugtuung gewisse Ideen «einfließen» zu lassen. Ich hatte noch wenig gelesen und kannte kein Vorbild. Hauptmann, der schon sehr berühmt war, hatte für meinen Geschmack eine zu geringe geistige Kapazität, was an Hauptmann bedeutend war, verstand ich damals ebensowenig, wie man es etwa heute versteht, und was an ihm gerühmt wurde, seine geistige Tiefe, war ein lächerlicher Irrtum. Hamsun, der in seinen Frühwerken große geistige Erörterungen bot, legte sie ein, wie man in der alten Oper die Arien in die Handlung einlegte, und nicht viel anders verfuhr d’Annunzio. Stendhal verstand ich nicht und Flaubert kannte ich nicht. Aber ich kannte Dostojewski, und da ich ihn heiß liebte (ohne übrigens das Bedürfnis zu haben, ihn ganz kennen zu lernen: sonderbar sind junge Leute oder vielleicht Leute überhaupt!), kann ich heute an meinem Verhältnis zu ihm am deutlichsten meinen damaligen Standort und Zustand ermessen: Er kam mir geistig zu ungenau vor: Ich hatte den Eindruck, seine Problembehandlung sei nicht eindeutig genug! Es kam mir zu wenig heraus! Während ich mir selbst also in richtiger Einschätzung meiner geringen Kraft mein Ziel sehr eng steckte, schweiften irgendwie meine Absichten weit darüber hinaus. –––––––
    Ich hoffe, man mißversteht diese Art
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