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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1
Autoren: Strugatzki Boris
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Jahren. Die folgenden achtzehn Jahre der Breschnew-Ära jedoch wurden schon recht bald als bleierne Zeit der Stagnation empfunden. Als die Strugatzkis 1983/84 »Die Wellen ersticken den Wind« schrieben, war Breschnew gerade gestorben, aber sein Nachfolger Andropow hatte begonnen, die Schrauben eher noch fester anzuziehen, und niemand, wirklich niemand rechnete mit Glasnost und Perestroika. Und ausgerechnet in diesem Moment bringen die Brüder Strugatzki einen Roman heraus, der stärker als jedes ihrer anderen Bücher erfüllt ist vom Vorgefühl radikaler Veränderungen und Umwertungen. Weitergehen wird es nach der Krise,
man weiß nur nicht, wie - aber man weiß, dass es ganz anders sein wird. Zu den bemerkenswerten Details der neueren sowjetisch-russischen Geschichte, die die Strugatzkis vorausgeahnt haben - wenn es denn eine Vorahnung war -, gehören die komplette Desorientierung, der recht bald einsetzende Wunsch, möglichst doch so weiterzumachen wie bisher, und der erbitterte Streit um die Deutung, wie es zu der Krise kam und wer darin welche Rolle spielte (der im Westen so beliebte Michail Gorbatschow beispielsweise ist den meisten Russen heute verhasst). Doch während alle anderen die Ereignisse als Schock und Bedrohung empfinden, gewinnt Leonid Gorbowski, der Lieblingsheld der Strugatzkis in der Welt des »Mittags«, der sich lebensmüde zum Sterben niedergelegt hatte, auf einmal wieder Interesse am Dasein …
    Die Strugatzkis, bekannt für ihre Vorliebe für offene Schlüsse, haben so der ganzen Welt des »Mittags« ein offenes Ende zugedacht. Es gibt jedoch noch ein anderes Ende, das einen Strich unter diese Welt zieht, nein: gezogen hätte. Kurz vor dem Tod Arkadis hatten die Autoren mit der Arbeit an einem vierten Maxim-Kammerer-Roman begonnen. Im Vorwort zu einer dreibändigen Anthologie, in der andere russische Autoren Motive aus Werken der Strugatzkis aufgegriffen und fortgeführt haben, schrieb Boris Strugatzki 1997:
    Im letzten Roman der Strugatzkis, den sie zu einem erheblichen Teil konzipiert, aber nicht mehr geschrieben haben, einem Roman, der nicht einmal einen Titel hat (nicht einmal das, was man dem Verlag früher als »Arbeitstitel« avisierte), einem Roman, der nun nicht mehr geschrieben werden wird, weil es die Brüder Strugatzki nicht mehr gibt und S. Witizki ihn allein nicht schreiben will - an diesem Roman also waren für die Autoren vor allem zwei Einfälle verlockend.
    Erstens gefiel ihnen (erschien ihnen originell und nichttrivial) die Welt des Inselimperiums, die mit der erbarmungslosen
Rationalität eines Demiurgen erbaut war, der verzweifelt jeden Versuch aufgegeben hat, das Böse auszurotten. Diese Welt war, grob gesagt, in drei Kreisen angelegt: Der äußere Kreis war die Kloake, die Senkgrube, die Hölle jener Welt - dort sammelte sich der Abschaum der Gesellschaft, alle Säufer, Schläger und Lumpen, alle Sadisten und geborenen Mörder, Vergewaltiger, aggressiven Grobiane, Perversen, moralisch Entarteten - die Fäulnis, der Auswurf, die Fäkalien des Soziums. Dort war ihr Reich, dort kannten sie keine Strafe, dort lebten sie nach den Gesetzen von Stärke, Gemeinheit und Hass. Mit diesem Kreis schirmte sich das Imperium gegen die ganze übrige Ökumene ab, verteidigte sich und schlug zu. Der mittlere Kreis wurde von gewöhnlichen Menschen bevölkert, die in keine Extreme fielen, Menschen wie wir, ein bisschen schlechter, ein bisschen besser, noch längst keine Engel, aber auch schon keine Teufel mehr. Im Zentrum jedoch herrschte die Welt der Gerechtigkeit. »Mittag, 22. Jahrhundert«. Eine warme, gastliche, gefahrlose Welt des Geistes, des Schöpfertums und der Freiheit, bewohnt durchweg von begabten, prächtigen, freundlichen Menschen, die alle Gebote ihrer hohen Ethik strikt befolgten. Jeder im Imperium Geborene fand sich unweigerlich in »seinem« Kreis wieder, die Gesellschaft drängte ihn mit sanfter (und notfalls auch mit grober) Gewalt dorthin, wo sein Platz war - gemäß seinen Talenten, seinem Temperament und seiner moralischen Potenz. Dieses Abdrängen erfolgte sowohl automatisch als auch vermittels eines sozialen Mechanismus (einer Art Sittenpolizei). Das war eine Welt, wo das Prinzip »Jedem das Seine« in seiner allgemeinsten Bedeutung herrschte. Hölle, Fegefeuer und Paradies. Die klassische Dreiheit.
    Und zweitens gefiel den Autoren der Schluss, den sie sich ausgedacht hatten. Da hat Maxim Kammerer alle Kreise durchlaufen und ist ins Zentrum gelangt, er
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