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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition)
Autoren: Harald Gilbers
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überrascht stehen. Niemand war zu erblicken. Fast wollte Oppenheimer glauben, dass seine Sinneseindrücke nur ein böser Traum gewesen waren. Doch nein, es gab verräterische Details. Es war eindeutig, dass hier in den letzten Minuten etwas geschehen war. Der Stuhl, auf dem die Frau gesessen hatte, war zur Seite gekippt. Um ihn herum lagen durchschnittene Fesseln. Also doch. Lüttke und Bauer hatten das Opfer bereits befreit. Endlich konnte Oppenheimer aufatmen.
    Doch dann kamen ihm erste Zweifel.
    Er wunderte sich, warum die Männer von der Abwehr sich nicht hatten blicken lassen, als er gerufen hatte. Konnte das bedeuten, dass Lutzow ihnen trotz allem entwischt war?
    Oder hatte er Lüttke und Bauer irgendwie ausgetrickst? Gab es vielleicht noch einen weiteren Komplizen? Die Falle, in die Oppenheimer geraten war, zeugte davon, dass er sich auf alle Eventualitäten vorbereitet hatte. Sein Gegner mochte zwar verrückt sein, doch dumm war er keinesfalls.
    Oppenheimer wurde sich bewusst, dass er hier schnell hinausmusste, um die Situation zu klären. Die hintere Hälfte des Raums besaß dummerweise keinen Fußboden mehr. Es war nicht möglich, diesen Schlund zu umrunden, um zur Tür zu gelangen, durch die Oppenheimer hereingekommen war. Er erinnerte sich daran, im Keller Schritte gehört zu haben. Dort unten hatte er einen Luftzug gespürt. Also musste es auch einen Ausgang geben.
    Als Oppenheimer sich umdrehen wollte, um die Treppe hinabzusteigen, erklang eine Stimme.
    »Wir haben Lutzow erwischt. Er wollte türmen.«
    Oppenheimer erstarrte. Er hatte nicht erwartet, diese Stimme ausgerechnet hier zu hören. Er kannte sie nur allzu gut. Und tatsächlich, als sich Oppenheimer umwandte, stand er Vogler gegenüber.

29
    Sonntag, 25. Juni 1944
    V ogler schien nicht im Geringsten überrascht zu sein, Oppenheimer hier zu sehen. Stattdessen umspielte ein zufriedenes Lächeln seinen Mund. »Diesmal hat unser Frühwarnsystem funktioniert«, erklärte der Hauptsturmführer.
    Nach kurzem Überlegen nickte Oppenheimer. »Man hat Sie also über die Entführung benachrichtigt?«
    »Als ich darüber in Kenntnis gesetzt wurde, bin ich sofort mit einigen Männern aufgebrochen. Gerade rechtzeitig. Wir haben Lutzow erschossen, als er aus dem Heizungskeller kam.«
    Also hatte Vogler dieselbe Schlussfolgerung gezogen wie Oppenheimer. Nach der Folterung von Ziegler kannte Vogler das Versteck der beiden Täter. Es war wahrscheinlich, dass sich Lutzow hierher zurückziehen würde, sobald er ein neues Opfer gefunden hatte.
    Bei diesem Gedanken wurde Oppenheimer bewusst, dass er für seine Anwesenheit keine Erklärung parat hatte. Und er hielt es auch nicht für klug, Vogler auf die Nase zu binden, dass er in dessen Büro eingebrochen war. »Gut«, sagte er nur vage. »Entschuldigung, aber ich brauch erst mal frische Luft.«
    Vogler hielt ihn nicht auf. Oppenheimer folgte dem Luftzug. Er konnte es plötzlich nicht mehr ertragen, noch eine weitere Sekunde in diesem Lagerhaus zu verbringen. Er wollte nur noch raus aus Lutzows Folterkammer, die ein ganzes Universum voller Schmerzen und Irrsinn enthielt.
    Als er orientierungslos im dunklen Heizungskeller herumirrte, stieß er schließlich auf eine Kohlenrutsche, die zu einer schweren Eisentür hinaufführte. Die Abendluft, die ihn draußen empfing, tat nach den Strapazen gut. Oppenheimer atmete tief durch. Es war vorbei. Lutzow war tot. Langsam beruhigte er sich wieder. Wenig später erschien auch Vogler. Sie standen nun beide vor dem Lagerhaus, zwei blau beleuchtete Gestalten im nächtlichen Wald.
    Oppenheimer blickte sich um. Die Verstärkung, von der Vogler gesprochen hatte, war wohl bereits wieder verschwunden. Ihre einzige Gesellschaft war ein toter Körper, der wenige Meter entfernt auf dem Boden lag, immer noch mit der alten Gasmaske vor dem Gesicht.
    »Lutzow?«, fragte Oppenheimer.
    Vogler verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Außenmauer. »Ihre Spürnase hat Sie nicht im Stich gelassen, Oppenheimer. Lutzow steckte mit Ziegler unter einer Decke.«
    »Was ist mit der Frau?« Als Vogler ihn fragend ansah, präzisierte Oppenheimer: »Das Opfer. Wo ist sie?«
    »Keine Sorge, sie ist unversehrt. Meine Leute haben sie bereits in Sicherheit gebracht. Wir werden sie nicht lange mit Fragen quälen.«
    »Sehr gut.«
    »Und dann gibt es noch etwas«, fügte Vogler hinzu. Er zögerte, suchte nach den richtigen Worten. »Wir haben ganz in der Nähe zwei, nun ja, merkwürdige Herren
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