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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition)
Autoren: Harald Gilbers
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Oppenheimer musste das Risiko eingehen und hinuntersteigen. Lautlos näherte er sich der Öffnung im Boden. Er hatte sich gerade gebückt, um nach einer Treppenstufe zu tasten, als er etwas hörte.
    Verzweifeltes Wimmern.
    Oppenheimer fuhr zusammen. Er spürte, dass der gedämpfte Laut nicht aus dem Keller gekommen war. Das Opfer musste sich also im Erdgeschoss befinden. Konnte es hier noch einen Raum geben? Suchend blickte er sich um, doch das Licht von der Eingangstür reichte nicht weit genug.
    In diesem Augenblick fragte sich Oppenheimer, wo Lüttke und Bauer blieben. Wäre es nicht sinnvoller, auf die beiden zu warten, um dann mit vereinten Kräften zuzuschlagen?
    Die Furcht drohte Oppenheimers Verstand zu benebeln. Er fühlte sich plötzlich unsicher, seine Gedanken drehten sich nur noch um die Frage, was in der Finsternis auf ihn warten mochte. Das konnte nur bedeuten, dass die Wirkung des Pervitins noch nicht eingesetzt hatte. Ausgerechnet jetzt, wo er es am dringendsten benötigte.
    Plötzlich ein Knarren. Mit gezückter Schusswaffe fuhr Oppenheimer herum. Stand regungslos. Wartete auf einen Angriff. Der nicht kam.
    Blinder Alarm. Niemand war hinter ihm. Keiner wollte ihn überwältigen.
    Oppenheimer atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Bis er die Wirkung des Pervitins wahrnahm, durfte er sich von den Dämonen, die seine Vorstellungskraft in die Dunkelheit projizierte, nicht irreführen lassen. Sein Herz pochte heftig. Er musste sich an etwas festhalten. Zitternd tastete er um sich.
    Seine Fingerspitzen berührten einen festen Gegenstand. Zaghaft strich er über die Oberfläche. Eine Wand. Schließlich wagte er es, sich langsam daran entlangzutasten.
    Zentimeter um Zentimeter schlich er sich vorwärts. Hastige Bewegungen vergrößerten die Gefahr, ein verräterisches Geräusch zu machen.
    Zu allem Überfluss erkannte Oppenheimer, dass der Boden ziemlich uneben war. Er bewegte sich an den Pilz-Becken vorbei, doch es gab keinen Anhaltspunkt, um einschätzen zu können, welche Entfernung er bereits zurückgelegt hatte.
    Oppenheimer zuckte zurück. Seine Fingerspitzen waren gegen etwas gestoßen. Nach genauer Inspektion stellte sich heraus, dass es ebenfalls eine Wand war, die im rechten Winkel zur ersten verlief. Oppenheimer folgte vorsichtig der zweiten Wand.
    Er schlich weiter, bis er vor sich auf dem Boden etwas sah. Zunächst war es nicht mehr als ein helles Muster. Doch bei näherer Betrachtung erkannte er, dass es das Relief der Holzdielen war. Die Enden der roh gezimmerten Planken ragten nach oben. Bei diesem Anblick machte Oppenheimer eine wichtige Entdeckung. Die wunderlichen Formen der abgesplitterten Holzspäne warfen lange Schatten. Das konnte nur bedeuten, dass sich die Lichtquelle ebenfalls in Bodennähe befand.
    Und tatsächlich, als sich Oppenheimer bückte, sah er wenige Zentimeter entfernt einen schmalen Lichtstreifen. Er stand unmittelbar neben einer verschlossenen Tür. Das Licht kam aus einem danebenliegenden Raum. Also hatte er recht gehabt. Wenn Lutzow ein neues Opfer hatte, dann musste es sich hinter dieser Tür befinden.
    Oppenheimer hielt den Atem an und presste sich, die Waffe schussbereit, gegen die Wand. Er konnte jetzt deutlich wahrnehmen, wie sich etwas in dem Zimmer bewegte. Dann hörte er ein Rascheln und den erstickten Schrei einer Frau. Lutzow hatte tatsächlich ein neues Opfer entführt. Erleichtert registrierte Oppenheimer, dass die Frau noch lebte.
    Aus seiner langjährigen Erfahrung als Polizeikommissar wusste er, dass es in dieser Situation nur eine Chance gab. Er musste versuchen, Lutzow von seinem Opfer zu trennen, koste es, was es wolle.
    Oppenheimer bereitete sich auf einen Frontalangriff vor. Er atmete tief durch, und als er spürte, dass er so weit war, zählte er bis drei. Dann nahm er Anlauf.
    Als das Türschloss aus dem Rahmen splitterte, sprang er in den Raum, die Waffe im Anschlag.
    Der Schein der nackten Glühbirne blendete Oppenheimer. Noch ehe er etwas klar erkennen konnte, glaubte er, auf der rechten Seite des Zimmers eine Bewegung wahrzunehmen.
    Hastige Schritte ertönten. Als Oppenheimer in die Richtung der Geräuschquelle zielte, fror er mitten in der Bewegung ein.
    Ganz weit hinten im Raum saß eine Frau gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl. Oppenheimer sah ein Bild grenzenlosen Jammers. Sie war noch in Abendkleidung, zurechtgemacht für einen Ball. Doch die langen braunen Haare waren zerzaust. Auf den bleichen Wangen hatten die
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