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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition)
Autoren: Harald Gilbers
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und ihm die Konsequenzen klarwurden, zog Oppenheimer instinktiv die Bettdecke um sich. Doch es war zu spät. Der ungebetene Besucher befand sich bereits in seinem Zimmer. Aufgrund der Verdunklung vor den Fenstern kam von draußen nicht der geringste Lichtschimmer in ihre enge Behausung. Der Eindringling war nicht mehr als ein wartender Schatten direkt gegenüber dem Bett.
    Schläfrig hatte Oppenheimer den Arm um seine Gattin gelegt, als er plötzlich spürte, dass Lisas Körper angespannt war. Sie hatte sich halb aufgerichtet und wagte kaum zu atmen. Doch draußen war es still. Keine Sirene gellte durch die Nacht, keine Bomber dröhnten aus der Luft, keine Flakgeschosse trommelten in der Ferne. Es konnte also kein Bombenalarm sein, der Lisa in Schrecken versetzt hatte. Oppenheimer hatte sich zunächst fragend ihr zugedreht, bis auch er den Fremden wahrgenommen hatte, der in unmittelbarer Nähe stand.
    Die undeutliche Gestalt verhielt sich ruhig, atmete regelmäßig. Ein Funke tänzelte in der Dunkelheit, bewegte sich nach oben und verwandelte sich in einen flammenden Punkt, als der Eindringling inhalierte. Aus dem finsteren Nichts ihres Zimmers wurde Oppenheimer Tabakgeruch entgegengeblasen.
    Der Fremde konnte nur ein Mann von der Gestapo sein. Aufgrund seiner einschlägigen Erfahrungen mit der Berliner Unterwelt wusste Oppenheimer, dass sich kein normaler Einbrecher in ein Judenhaus verirren würde, um dann lässig rauchend darauf zu warten, dass die Opfer aufwachten und ihn bemerkten. Oppenheimer kennt seine Pappenheimer. Während seiner Jahre im Polizeidienst war dies bei den Kollegen ein vielzitiertes Sprichwort gewesen. Sich wegen ein paar lausiger Kröten unnötig ins Radar der Gestapo zu begeben, war für Diebe ein zu großes Risiko. Denn die jüdischen Bewohner dieser Häuser heimzusuchen und zu bestehlen, sahen die Gestapo-Männer als ihr ureigenes Privileg an. Wenngleich es in den letzten Monaten keine Hausdurchsuchungen mehr gegeben hatte, konnte sich Oppenheimer noch genau daran erinnern. Bei diesen Gelegenheiten pflegten gleich mehrere Gestapo-Leute anzurücken. Es galt als normal, dass sie den Bewohnern dabei ins Gesicht schlugen, sie bespuckten und Beschimpfungen brüllten. Doch dieser Mann hier war allein gekommen, in aller Heimlichkeit. Das war ein ausgesprochen schlechtes Zeichen. Wenn die Gestapo-Leute pöbelten, wusste man, woran man war. Waren sie jedoch still, konnte alles geschehen.
    Für einen nicht enden wollenden Augenblick verharrten sie in ihren Positionen, Oppenheimer regungslos in seinem Bett, Lisa neben ihm und der Fremde gegen den Türrahmen gelehnt. Dann erklang die Stimme des Mannes. »Ich weiß, dass Sie wach sind, Oppenheimer. Sicherheitsdienst. Wollen Sie sich nicht langsam anziehen und mitkommen?«
    Zwar war dies als Frage formuliert, doch der Ton war unmissverständlich. Der Sprecher würde eine Weigerung nicht tolerieren.
    Oppenheimer wagte nicht, die Nachttischlampe anzuschalten. Innerlich bebend, stand er auf und angelte seine Kleider von der Stuhllehne. Er kam nicht einmal dazu, sich zu fragen, was eigentlich ein Mann vom SD hier zu suchen hatte. Mechanisch schritt er durch die Küche, die sie sich mit den anderen Bewohnern des Judenhauses teilten. Es überraschte Oppenheimer immer wieder, wie bereitwillig er gehorchte, wenn er verängstigt war, wenn er wusste, dass sein Schicksal in den Händen anderer lag. Kurz dachte er an Lisa, die er ungeschützt zurücklassen musste. Doch als amtlich nachgewiesene Arierin war sie ohnehin besser dran, wenn sie ihn töten würden. Danach wäre sie frei und nicht länger aus der Volksgemeinschaft ausgegrenzt, weil sie ausgerechnet einen Juden geheiratet hatte. Trotz seiner akuten Todesangst bot ihm dieser Gedanke einen gewissen Trost.
    Im Treppenhaus brannte das Licht, und Oppenheimer sah den Fremden zum ersten Mal. Der Anblick war ernüchternd. Der Mann trug eine Brille und war eher klein gewachsen. Doch die Hand in der ausgebeulten Manteltasche verriet, dass er eine Feuerwaffe dabeihatte. Oppenheimer wunderte sich, dass keiner der anderen Bewohner auf den Beinen war. Nicht einmal die Schlesingers schlichen neugierig durch die Gänge. Offenbar hatte man es nur auf ihn abgesehen.
    Der SD-Mann blickte auf den Koffer, den sein Gefangener bei sich trug, und runzelte die Stirn. Es war ein Reflex gewesen. Oppenheimer hatte beim Hinausgehen seinen Luftschutzkoffer mitgenommen. Alle wichtigen Habseligkeiten waren darin verstaut, so dass er sie
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