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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition)
Autoren: Harald Gilbers
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ihr Auto jetzt mühselig seinen Weg bahnte.
    Der Fahrer wich einem provisorisch ausgebesserten Krater in der Straße aus. Vom Scheinwerferlicht aufgeschreckt, hasteten graue Schatten mit funkelnden Augen in Deckung. Ratten. In den Trümmern hausten unzählige von ihnen. Trotz aller Zerstörungen eroberten sie Zentimeter für Zentimeter ihr altes Terrain zurück.

    Der SD-Mann öffnete die Tür. Vage konnte Oppenheimer erkennen, dass in der Nähe ein weiteres Fahrzeug geparkt war. Weiter hinten standen im Dunkel Männer mit Taschenlampen.
    »Aussteigen«, befahl der SD-Mann. Zögernd kämpfte sich Oppenheimer aus seinem Sitz. Die Fahrt hatte unerwartet lange gedauert. Irgendwann hatte er in der Dunkelheit schließlich die Orientierung verloren. Die Panik, die Oppenheimer zunächst verspürt hatte, war immer mehr einer großen Verwunderung gewichen. Als sie die Spree überquert hatten und er auf dem gegenüberliegenden Ufer die mächtigen Werkshallen der AEG erkannte, wusste Oppenheimer, dass sie sich im Vorort Oberschöneweide befanden. Die imposanten Industriebauten, die hier das nördliche Spreeufer säumten, waren jedem Berliner ein Begriff, doch was den Sicherheitsdienst wohl dazu bewogen haben mochte, ihn mitten in der Nacht dorthin zu kutschieren, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären.
    Oppenheimers Begleiter wies in die Richtung der tanzenden Lichtkegel. Mittlerweile hatte er seine Feuerwaffe aus der Manteltasche genommen und zielte damit in Oppenheimers Richtung. Widerwillig setzte sich dieser in Bewegung.
    Der SD-Mann führte Oppenheimer zu einer Rasenfläche, in deren Mitte auf Granitstufen ein etwa drei bis vier Meter hoher Steinstumpf ruhte. In seiner Unfertigkeit schien der Klotz keinen erkennbaren Zweck zu erfüllen. Wahrscheinlich waren dies die kläglichen Überreste eines Mahnmals. In Berlin gab es unzählige davon. Die meisten waren jüngeren Datums und erinnerten an das Grauen des letzten Krieges. Jetzt, wo sich die Weltkriege numerieren ließen, war er als der Erste Weltkrieg bekannt, doch im Volksmund wurde er kurz und prägnant Anno Scheiße genannt. Da in heroischen Zeiten wie diesen jede Art von Metall knapp war, wurde dieses nicht zu unterschätzende Reservoir an Metallteilen unverzüglich eingeschmolzen, sobald der neue, noch größere Krieg begonnen hatte. Wo dereinst zweifelsohne eine Skulptur emporgeragt hatte, war jetzt nichts weiter als gähnende Leere.
    Doch an diesem Morgen befand sich dort noch etwas anderes, das so gar nicht zu einem Denkmal passte.
    Unmittelbar hinter dem Sockel hatte man notdürftig ein großes Tuch über den Boden gespannt. Oppenheimer erkannte sofort die Umrisse, die sich darunter abzeichneten: Vor ihnen lag ein menschlicher Körper.
    Auch die Gesichter der zwei Männer konnte Oppenheimer im Widerschein der Taschenlampen besser erkennen. Beide trugen die graue Felduniform der SS. Hinter ihnen erhob sich ein großes Bauwerk, das eine Kirche sein musste.
    Gesprächsfetzen drangen durch die kühle Morgenluft.
    »Schöne Schweinerei das«, wisperte einer der beiden und starrte mürrisch auf die zugedeckte Leiche zu seinen Füßen. »Halten Sie es wirklich für klug, ausgerechnet einen Juden hinzuzuziehen?«
    »Ich habe meine Gründe, Graeter«, sagte der zweite Mann und zündete sich eine Zigarette an.
    »Sie können mir erzählen, was Sie wollen, Vogler. Ich halte es für einen Fehler.« Als der Sprecher bemerkte, dass sich Oppenheimer mit seinem Begleiter näherte, verstummte er betreten.
    Der andere wandte sich den Neuankömmlingen zu. »Da sind Sie ja, Oppenheimer.«
    Der SS-Mann namens Vogler richtete seine Taschenlampe auf die beiden. Der Lichtkegel verharrte kurz auf Oppenheimers gelbem Davidstern. Ein Ausdruck der Unsicherheit huschte über Voglers Gesicht, doch sofort war dieser wieder verschwunden hinter der forcierten Selbstsicherheit, die so typisch war für Hitlers Elite.
    »Ich bin Hauptsturmführer Vogler. Vor zwei Stunden ist hier diese Leiche gefunden worden.«
    Vogler schritt zu der Toten. Obwohl der Gesichtsausdruck des anderen Uniformträgers namens Graeter betont ausdruckslos war, seufzte er vielsagend, bevor die Plane zurückgeschlagen wurde.
    Als Oppenheimer die getötete Frau sah, fühlte er wieder den altbekannten Stich in der Magengegend. Im Laufe seines Polizeidienstes hatte er zwar mit etlichen Toten zu tun gehabt, doch er war nicht derart abgestumpft, dass der Anblick eines Mordopfers in ihm keinerlei Gefühlsregung
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