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German Angst

German Angst

Titel: German Angst
Autoren: Friedrich Ani
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meiner zukünftigen Frau Natalia die Kraft durchzuhalten. Wir alle hoffen, dass sie in den nächsten Stunden freikommt, und ich bitte Dich, ihr beizustehen. Segne sie! Und ich bitte Dich, segne meine Tochter Lucy, deren Seele voller Schmerz ist, den ich ihr nicht nehmen kann. Ich bitte für sie, gib Du ihr Zuversicht und den Glauben an sich selbst, ohne den niemand von uns überleben kann. Als ich getauft wurde, war ich zwei Jahre alt, und seit mich Dein Diener auf seinem Rücken aus dem Haus getragen und zum Hubschrauber geschleppt hat, der mich in die Freiheit brachte, bete ich zu Dir. Ich dankte Dir aus der Tiefe meines Herzens, aber ich fühlte Schuld, weil meine Eltern und meine Geschwister sterben mussten. So wie meine Frau Linda. Sie starb und seitdem sind wir, meine Tochter und ich, nicht mehr dieselben, wir sind wie wandelnde Wunden, die nicht heilen. Jetzt sind wir also hier und ich bete zu Dir, steh uns bei und öffne uns die Augen für das Richtige. Halte Deine gnädigen Hände über meine Tochter Lucy, die viele Menschen für ein kriminelles Wesen halten. Aber das ist sie nicht. Sie ist ein liebevolles, ängstliches, hilfloses Kind. Sie braucht Deine Güte und Deinen Rat, lass sie nicht allein, Du kennst ihr Herz, es ist voller Licht.«
    Er machte eine Pause, dann wandte er sich an Lucy.
    »Möchtest du ein kurzes Gebet sprechen?«
    Sie verschränkte die Arme vor dem Oberkörper.
    »Nein«, sagte sie. Arano bekreuzigte sich.
    Eine der Stewardessen räusperte sich. »Bitte setzen Sie sich jetzt und schnallen Sie sich an! Wir landen in zehn Minuten auf dem Murtala Muhammed Airport.«
    Jetzt sah Lucy draußen ein hohes weißes Gebäude, das alle anderen überragte und auf dessen Turm ein Leuchtfeuer loderte.
    Eigenartig war, dass ein Teil der gigantischen Stadt im Dunkeln lag. Vielleicht ist der Strom ausgefallen, dachte Lucy.
    Auf die ebene Plattform des rechteckigen Tors fiel das Licht des noch sonnenlosen Himmels. Natalia öffnete weit den Mund, damit der Wind sie ganz erfüllte und leicht machte. Den kalten Schweiß, der ihr am Körper hinunterlief, spürte sie nicht, auch nicht, dass sie beim Aufstieg über die ruppigen, harten Eisenleitern ihre Schuhe verloren hatte, so dass ihre nackten Füße jetzt aufgeschürft waren und bluteten. Sie hatte vergessen, wie sie hier heraufgelangt war zu diesen Löwen und der Patronin mit dem Stab, sie roch die Luft und wiegte sich im Wind. Und als Rossi sie auf die Eisenplatte führte, auf der sich die Quadriga befand, ließ sie sich widerstandslos im Kreis drehen. Und in der Ferne, am Ende der ineinander fließenden prunkvollen Häuserreihe, sah sie im Morgendunst die Türme von St. Peter und St. Kajetan. Und als sie nach unten blickte, zwanzig Meter in die Tiefe, hatte Rossi das Seil schon um den erhobenen Arm der Matrone geworfen und es verknotet, Natalia spürte nur einen leichten Druck am Hals. Aber die Autos dort unten verwunderten sie ein wenig. Warum hatten sie angehalten? Was war denn Besonderes geschehen? Männer stiegen aus und schauten zu ihr hinauf. Wozu? Bin ich wichtig? Einer telefonierte sogar mit seinem Handy, er trug ein rotes Käppi und eine Lederhose, das sah spaßig aus so früh am Morgen. Und noch mehr Autos blieben stehen und noch mehr Leute stiegen aus und versammelten sich auf dem Platz vor den drei Torbogen. Hier oben war ich noch nie, sagte sie zu ihren Händen, die sie jetzt hoch hielt und betrachtete. Sie waren weiß, weiße Marmorhaut, und wenn ich länger hier oben bleib, werden sie braun von den Abgasen und ich muss renoviert werden. An ihren Waden spürte sie ein Kribbeln, das sich langsam über ihre Knie ausdehnte, sie bewegte den Kopf und die Schlinge scheuerte an ihrem Hals, ein knirschendes Geräusch. Sie hörte sekundenlang hin und hörte auch ein Knacksen, Knochen rieben aneinander. Ich bin schon verrostet, kein Wunder, so lange wie ich rumgelegen hab anstatt was zu tun. Jetzt hörte sie, weit entfernt, eine Sirene, eine zweite Sirene, ein Streifenwagen raste auf der Ludwigstraße heran. Sie sah ihn kommen und sie sah auch zwei Feuerwehrautos vor der Feldherrnhalle auftauchen und aufs Siegestor zufahren. Doch nicht wegen mir! Das ist den Aufwand nicht wert, ich…
    »Sie sind eine kraftvolle, mutige Frau«, sagte plötzlich jemand neben ihr. »Ich werde vor Gericht nur das Beste von Ihnen berichten.« Sie reagierte nicht. Sie kannte den Mann, ja, das war der mit den roten Pusteln um die Nase, der mit der unreinen Haut, der mit
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