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German Angst

German Angst

Titel: German Angst
Autoren: Friedrich Ani
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Verfügung zu stehen. Wenn nachts einer anruft, weil sein Klo verstopft ist, musst du hin, denn später will er sich vielleicht ein neues Bad einrichten lassen, dann kommt er auf dich zurück. Xaver und ich haben einige Bäderumbauten gemacht, er hatte einen guten Draht zu Hausverwaltungen, sehr wichtig, die brauchen immer jemanden für Gebäudeinstandhaltungen. Er hat mich beschissen, das hab ich gemerkt, aber ich wollt ihn nicht verlieren, dann hätt ich auch viele Kunden verloren. Aber er ist nicht der Typ, der sich selbstständig macht, er braucht einen wie mich, der anschafft, der die Initiative hat, den Optimismus. Ich war eigentlich immer optimistisch, auch wenn es keinen Grund dazu gab. Oft zahlen die Leute nicht, weißt du, sie zahlen einfach nicht, du schickst Mahnungen, aber sie zahlen nicht. Oder ein Bauträger geht Pleite und du hast umsonst gearbeitet. Das Schlimmste heute ist, dass die Leute immer diskutieren wollen, reklamieren ist ganz hoch im Kurs, und hinterher sagen sie, sie haben sich alles ganz anders vorgestellt. Du musst immer ruhig bleiben, du darfst dich von den Kunden nicht verrückt machen lassen, die wollen dir immer Hektik aufladen, das darfst du nicht zulassen, das sind genau die Kunden, die dann schlecht zahlen, das ist fast ein Prinzip. Deshalb hab ich immer darauf geachtet, alles vorher schriftlich festzulegen, nur so bist du abgesichert. Das Geld wird nicht auf den Knien verdient, sondern auf dem Papier, das hab ich hart gelernt. Xaver hat das nie verstanden, wozu auch, er kassiert schwarz ab und wurstelt sich so durch. Ich wollt mich nie durchwursteln, ich wollt was erreichen. Und wenn du so einen kleinen Betrieb hast, musst du lernen, das Land hinter dir zu betrachten, das, was du geschafft hast, und nicht immer nach neuen Ufern Ausschau halten, das ist gefährlich. Deine Mama hab ich kennen gelernt, weil ihre Waschmaschine die Küche überschwemmt hat…«
    »Papa?«, sagte Lucy, das Gesicht halb unter der Decke.
    »Ja?«
    »Sei jetzt still, Papa!«
    Er nickte. Er hatte nur die Angst wegreden wollen, er hatte nur die Hütten nicht sehen wollen, die brannten, und die Männer seines Stammes, die blutend im Lehm lagen, und überall Kinder mit aufgeblähten Bäuchen, schreiende Kinder, und überall Frauen mit Babys, sie rannten, sie rannten ins Feuer der Gewehre. Er hatte nur vom Glück erzählen wollen wie in einem Märchen, und es war wie im Märchen, als der Priester ihn damals an der Hand nahm, ausgerechnet ihn, und in den Jeep setzte und dann in den Hubschrauber. Und sie flogen über ein loderndes, tobendes Land, dessen Freiheit in einer Million hungriger Münder endete, die nicht erlöst wurden. Er war erlöst worden und wusste nicht, warum. Und nun kehrte er zurück. Der Name des Landes, aus dem er stammte, existierte nicht mehr, und er brachte sein Kind mit und wusste nicht, ob er es ernähren konnte in dieser unbekannten Welt. Und er wollte seine Verlobte nachholen, damit der Schrecken in der Ferne vielleicht langsam von ihr abfiel. Aber er würde sie in ein Land holen, dessen Sprache er nur schlecht beherrschte, und wo sein Stamm ihn nicht wiedererkennen würde. Er war ein Fremder, der aus einer fremden Stadt kam, die er lange Zeit für einen Herzensort gehalten hatte. Jetzt war ihm klar geworden, dass aus einem Flüchtlingskind immer ein Flüchtlingserwachsener wurde, ohne einen Ort für seine Seele, unentwegt die Tür im Blick und ein geschlossenes Fenster im Rücken.
    All das hatte Arano plötzlich begriffen, gegen vier Uhr morgens, zwölftausend Meter über der Erde. Und augenblicklich hatte er sich einen Kopf wie ein leeres Zimmer gewünscht, in das die Sonne schien. Und so hatte er angefangen, von seiner Welt aus Waschbecken, Eckventilen und Silikonabdichtungen zu sprechen.
    Und Lucy hatte ganz Recht, ihn zum Schweigen zu bringen, er war sofort einverstanden mit ihr. Wenn auch nur für vier Minuten.
    »Liest du mir dein Gedicht noch mal vor?«, sagte er leise. Sie antwortete nicht. Nach einer Weile rutschte sie hin und her, fummelte in ihrer Hosentasche und holte ein zerknülltes Blatt Papier hervor. Sie wog es in der Hand, dann kippte sie diese zur Seite und das Knäuel landete in Aranos Schoß.
    »Schenk ich dir«, sagte Lucy und zog die Decke wieder über den Mund.
    Arano faltete das Blatt auseinander, strich es glatt und hielt es sich im matten Licht der Leselampe vor die Augen…. erlosch aus Scham das dürre Licht / und der Schmetterling flog schnell davon. /
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