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German Angst

German Angst

Titel: German Angst
Autoren: Friedrich Ani
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Dunkelheit.
    Im Wohnzimmer mit den hohen Bücherregalen und den dunklen Teppichen war es still. Ira Horn trank den letzten Schluck Rotwein und schmatzte.
    »Man sollte diese Stadt in die Luft sprengen«, sagte sie.
    »Ja, Oma«, sagte Melanie.
    »In die Luft sprengen und den Schutt dann im Meer versenken. Und dann noch mal sprengen, für den Rest.« Sie griff nach der Weinflasche, aber Melanie kam ihr zuvor.
    »Du hast genug getrunken.«
    »Beileibe nicht!«, sagte Ira Horn und riss ihrer Enkelin die Flasche aus der Hand. »Ich trinke so lange, bis ich alles vierfach seh, und dann werd ich immer noch nicht glauben, dass das wirklich wahr ist, was da draußen passiert.«
    »Du spinnst«, sagte Melanie.
    »Nicht genug«, sagte Ira Horn, »leider nicht genug.« Sie goss das Glas bis zum Rand voll und bevor sie es richtig bemerkte, liefen ihr Tränen über die Wangen.
    In den Räumen der Vermisstenstelle beim Dezernat 11 herrschte für eine halbe Stunde Behutsamkeit. Die Kommissare sprachen, wenn überhaupt, leise miteinander und vermieden jede Aufregung. Man trank Tee, aß Kuchen und belegte Brote, warf ab und zu einen Blick auf den Computer und war froh, dass das Telefon nur selten klingelte. In einem kleinen Nebenzimmer, in dem es nur einen Tisch und zwei Stühle gab, telefonierte Volker Thon mit seiner Frau Vera.
    »Schlafen die Kinder?«
    »Sie tun so. Bleibst du die ganze Nacht?«
    »Ja.«
    »Du klingst bedrückt, Schatz.«
    »Ich bins.«
    »Kann ich was für dich tun?«
    »Nein. Komisch, heut hab ich ein paar Mal gedacht, ob du nicht doch wieder als Möbeldesignerin arbeiten solltest.«
    »Aber wieso denn? Und wer kümmert sich dann um die Kinder, du Überstundenfetischist?«
    »Findest du, ich kümmere mich zu wenig um euch, um dich und die beiden Lütten?«
    »Manchmal. Was ist denn los?«
    »Vielleicht haben wir einen großen Fehler gemacht.«
    »Ihr findet die Frau, ihr seid doch schon so nahe dran.«
    »Zum ersten Mal zweifele ich an allem, Vera«, sagte Thon, »auch an meinen Fähigkeiten als Leiter einer Abteilung.« Er rieb an seinem Halstuch und roch an seinen Fingern. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er im Dunkeln stand und durch die angelehnte Tür nur ein schmaler Lichtstrich hereinfiel. Ein paar Türen weiter telefonierte Paul Weber an seinem Schreibtisch mit seiner Freundin Evelin.
    »Hab ich dir erzählt, dass meine Frau mich geheiratet hat, weil ihr meine Uniform damals so gut gefallen hat?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Evelin, obwohl er es ihr schon erzählt hatte.
    »Sie hat mich auf der Straße gesehen und angesprochen, wegen einer Absperrung. Ich war damals noch bei der Streife. Sie sagte, die Uniform würde mir ausgezeichnet stehen. Ich sagte ihr, dass ich bald zur Kripo wechseln und dann keine Uniform mehr tragen würde. ›Schade‹, hat sie gesagt und dann haben wir uns verabredet. Sie war enttäuscht, weil ich nicht in Uniform gekommen bin, stell dir das vor! Später hat sie immer wieder davon angefangen, wie toll ich ausgesehen habe, aber dass die Uniform mir jetzt natürlich nicht mehr stehen würde wegen meines Bierdepots da vorn…«
    Er schwieg.
    »Ich mag das, wenn du von ihr sprichst«, sagte Evelin.
    »Ich will dich nicht kränken«, sagte er.
    »Komm bald nach Hause!«, sagte sie. Sie war vorübergehend bei ihm eingezogen.
    »Ich bin so müde«, sagte er. »Heute ist wieder so eine Nacht, in der ich zu müde bin, um den lieben Gott zu hassen.«
    »Du sollst das nicht sagen!«
    »Du hast Recht. Er hat überhaupt nichts damit zu tun. Wir sind für alles selbst verantwortlich.« Ohne genau zu begreifen, was er tat, zog er eines seiner großen karierten Taschentücher aus der Hose und breitete es auf seinem Kopf aus, als würde eine sengende Sonne auf ihn herniederscheinen.
    »Was machst du?«, fragte Evelin, weil es am Telefon auf einmal so still war.
    »Ich versteck mich«, sagte Weber, »aber es nützt nichts.« Er nahm sich vor, am nächsten Wochenende seine Mutter am Schliersee zu besuchen und mit ihr in die Kirche zu gehen. Einen ähnlichen Gedanken hatte Karl Funkel, der allein in seinem Büro saß. Er dachte daran, am Sonntagnachmittag in der Josefskirche Zwiesprache zu halten, so lange, bis eine Antwort ihn befriedigte. Unvermittelt griff er zum Telefon.
    »Ich bins«, sagte er.
    »Hm?« Eine verschlafene Stimme meldete sich.
    »Karl«, sagte er.
    »Du?«, sagte Sonja Feyerabend. »Ist was passiert?«
    »Nein, ich wollte… Ich wollte nur hören, wies dir
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