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Gerechte Engel

Gerechte Engel

Titel: Gerechte Engel
Autoren: Mary Stanton
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natürlich nicht mehr viel. Alexander senior, also Alex’ Vater, hatte keine sonderlich glückliche Hand bei seinen landwirtschaftlichen Unternehmungen. 1961 gab er die Schweinezucht auf und verlegte sich auf den Tabakanbau. Das heißt, kurz bevor der Bericht des Gesundheitsministeriums herauskam. Von da an ging alles bergab. Aber in den Fünfzigerjahren hatte die Familie Geld, und Geld heißt vor allem Einfluss. Alex erzählte Richter Franklin – Ihrem Großonkel, also dem Mann, der Sie und mich letzten Endes zusammengebracht hat –, dass ihm Haydee dreimal erschienen sei und ihn gebeten habe, ihre Gebeine dem Feuer zu übergeben.«
    »Meine Güte«, sagte jetzt EB. »Haben Sie das geglaubt, Ms. Coville?«
    Justine stieß ein Schnauben aus. »Keine Sekunde lang.«
    Bree kritzelte nachdenklich auf ihrem Notizblock herum. Es entzog sich ihrer Kenntnis, ob ihre letzten drei Klienten Gespenster gewesen waren oder nicht. Tot waren sie jedenfalls. Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass Haydee ihren trauernden Liebhaber von jenseits des Grabes aufgesucht hatte. Das wusste Bree besser als die meisten anderen Menschen. Was nun Franklin anging … »Richter war er damals aber noch nicht«, stellte Bree richtig. »Das ist er erst Ende der Siebzigerjahre geworden.«
    »Ich glaube, die Familie hat ihn engagiert, um Alex bei der Vorverhandlung zu vertreten.«
    »Wo er vermutlich auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert hat, oder?« Bree setzte sich auf. Franklins andere Kanzlei, die im Verborgenen arbeitete, war darauf spezialisiert gewesen, für tote, zum Aufenthalt in der Hölle verurteilte Seelen Berufung einzulegen. Das wusste sie nur zu gut. Nach Franklins Tod hatte sie seine Kanzlei nämlich geerbt, und damit auch jenes Büro in der Bay Street, das für seine irdischen Fälle zuständig war.
    »Dass der Junge den Verstand verloren hatte – zumindest vorübergehend –, war doch die einzig mögliche Erklärung für sein bizarres Verhalten. Die Familie war so klug, vor Gericht unerwähnt zu lassen, dass er von einem Geist heimgesucht worden sei«, fuhr Justine munter fort. »Sie wollten, dass der arme junge Mann in die Klapsmühle, aber nicht ins Gefängnis kommt. In ein Privatsanatorium. Heutzutage würde man das wohl als Reha-Klinik bezeichnen. Jedenfalls würde man nicht Klapsmühle sagen, da das nicht politically correct ist, nicht wahr?« Ihre purpurroten, reichlich mit Collagen gespritzten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Nach ein oder zwei Jahren kam er wieder raus und heiratete eine seiner Cousinen. Maria? Madeline? So ungefähr. Sie stammte, glaube ich, aus Charleston. Später hatten sie drei Töchter: Samantha-Rose Bulloch, die jetzt Waterman heißt, Alexandra Bulloch, die nie geheiratet hat, und Marian Lee Cicerone. Kann auch sein, dass sie irgendeinen anderen Spaghettifressernamen hat.«
    Dieser abfällige Ausdruck ließ Bree zusammenzucken.
    »Ja, Marian Lee hat nach unten geheiratet, wie man so schön sagt«, fuhr die alte Dame fröhlich fort. »Alexander machte dann ziemlich erfolgreich Karriere als Hypothekenmakler. Davon steht natürlich nichts in Phillips Drehbuch. Ist für einen Film wahrscheinlich auch viel zu gewöhnlich .«
    Bree hörte, wie sich Mrs. Emerald Billingsley hinter dem Paravent wieder daranmachte, auf die Tastatur ihres Computers einzuhämmern. Dann fragte sie, weil ihr die ganze Geschichte wie auch die Sache mit der Leiche auf dem Handkarren höchst bizarr vorkam (und weil sie davon ausging, dass EB ebenfalls darauf brannte, es zu erfahren): »Hat er denn jemals erklärt, warum Haydee ihn gebeten hat, ihre Leiche zu verbrennen?«
    »Hat Alex nicht gesagt, dass es ihr um Reinigung ging?«, warf EB von ihrem Arbeitsplatz hinter dem Paravent aus ein. »Scheint mir auch einleuchtend.«
    »Der arme verwirrte Junge«, sagte Justine in geringschätzigem Ton. »Wenn es je einen vernünftigen Grund gab, dann ist er mir jedenfalls nicht zu Ohren gekommen. In Phillips Drehbuch findet sich eine übernatürliche Erklärung, die aber natürlich wenig Sinn ergibt. Kommen Sie doch hinter dem Wandschirm hervor, junge Frau«, fügte sie hinzu, »damit ich Sie sehen kann. Für Geisterstimmen hab ich nämlich gar nichts übrig.«
    Man hörte, wie in aller Eile ein Stuhl zurückgeschoben wurde. Kurz darauf tauchte EBs Gesicht hinter dem Paravent auf. Sie lächelte. »Ist schon lange her, dass mich jemand junge Frau genannt hat, Ms. Coville. Danke schön. Und ich entschuldige mich vielmals
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