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Gerechte Engel

Gerechte Engel

Titel: Gerechte Engel
Autoren: Mary Stanton
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bei Ihnen, Ms. Beaufort. Und bei Ihnen ebenfalls, Ms. Coville. Weil ich zugehört habe, meine ich.« Sie hatte ein zwar abgetragenes, aber dennoch adrettes, beigefarbenes Kostüm und eine sorgfältig gebügelte weiße Bluse mit selbstgefertigtem Spitzenkragen an. Ihre Afrofrisur war so gekämmt, dass sie sich wie eine Wolke um ihren Kopf schmiegte. »Aber daran ist Ihre Stimme schuld. Die klingt ja wie Musik. Und ich kenne niemanden, der nicht gern Musik hört. Außerdem verstehen Sie sich so gut darauf, eine Geschichte zu erzählen, Ms. Coville. Wirklich.« Unschuldsvoll sah sie mit ihren braunen Augen Bree an, die ihren Blick skeptisch erwiderte. »Haben Sie diese Stimme schon als Kleinkind gehabt? Oder ist die erst später so geworden? Ich kann mich noch erinnern, dass Sie in dieser Krimiserie im Fernsehen mitgespielt haben. Schon damals hab ich mich gefragt, woher Sie wohl diese wunderschöne Stimme haben mögen.«
    »Die habe ich mir in all den Jahren auf der Bühne angeeignet, Mrs. Billingsley. Ich habe nämlich als Bühnenschauspielerin angefangen, wissen Sie.«
    »Ist ja interessant«, sagte EB, indem sie ein Stück näher trat. »Bühnenschauspielerin, sagen Sie? Und wie sind Sie dann von der Bühne in diesen Fernsehfilm geraten, der gerade unten am Fluss gedreht wird?«
    Justine gestikulierte mit ihrer arthritischen Hand in Richtung Wandschirm. »Wollen Sie sich nicht einen Stuhl holen und sich zu uns setzen? Ich bin gern bereit, Ihnen mehr darüber zu erzählen. Aber natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben, Ms. Winston-Beaufort.«
    Bree hatte nichts dagegen. Und EB offenbar auch nicht. Normalerweise legte EB großen Wert auf Professionalität – und Klatsch und Tratsch hielt sie für äußerst unprofessionell. Doch wie jedermann in Savannah war auch sie ganz erpicht darauf, mehr über die Aktivitäten von Sunward Productions zu erfahren. Die Zeit, die die alte Dame für ihre Ausführungen brauchte, würden sie ihr nicht berechnen. Und es war ja auch nicht so, dass die Klienten vor dem Büro in der Bay Street Schlange gestanden hätten. Was Brees anderes Büro in der Angelus Street 66 betraf, sah die Sache dort völlig anders aus, denn es mangelte keineswegs an Seelen, die darauf aus waren, die Höllenstrafen, zu denen sie verurteilt worden waren, rückgängig zu machen. Doch diese Fälle brachten leider kein Geld ein.
    EB streckte ihren kräftigen Arm aus, zog ihren Schreibtischstuhl hinter dem Paravent hervor und ließ sich mit einem erleichterten Seufzer darauf nieder (was, wie Bree wusste, bedeutete, dass ihr ihre Hühneraugen wieder zu schaffen machten).
    Justine strahlte ihr Publikum an. »Ausgebildet wurde ich natürlich fürs Theater. Sicher wissen Sie, dass in der heutigen Zeit …« Sie machte eine Pause und zog die Augenbrauen hoch. »Aber das dürfte Sie wohl kaum interessieren.«
    »Doch, doch«, erwiderte EB.
    »Nun, beim heutigen Theater herrscht ja sozusagen der Jugendwahn. Jede Schauspielerin über vierzig kann Ihnen bestätigen, wie schwierig es ist, anständige Rollen zu bekommen. Das scheint mir ziemlich unfair zu sein. Meine Anfänge waren schwer genug, und dass ich mich jetzt, am Ende meiner Tage, mit einer kleinen, wenn auch markanten Rolle in einem Fernsehfilm begnügen muss …« Ihre Miene verfinsterte sich kurz. EB gab ein mitfühlendes Murmeln von sich. »Sicher wissen Sie, was ich meine, Mrs. Billingsley. Ihre Leute haben es ja auch schwer. Natürlich auf andere Weise. Aber das Gemeinsame zwischen uns ist, dass wir Jobs annehmen müssen, für die wir gar nicht geeignet sind. Die unter unserer Würde sind. Einfach, um über die Runden zu kommen.«
    Der Ausdruck Ihre Leute ging Bree ein wenig gegen den Strich. Aber wenn EB keinen Einspruch erhob, sah sie auch keine Veranlassung dafür.
    »Das kann man wohl sagen«, antwortete EB.
    »Natürlich erreicht man nichts, ohne wenigstens ein bisschen Talent zu haben«, fuhr Justine fort.
    »Und hart arbeiten muss man auch«, ergänzte EB.
    » Sehr hart sogar. Nun, gegenüber Schauspielerinnen gibt es ein Vorurteil, das noch schwerer zu bekämpfen ist als Vorurteile gegenüber der Hautfarbe, Mrs. Billingsley. Besonders gegenüber Schauspielerinnen, die zugeben, ein klein wenig über sechzig Jahre alt zu sein.« Sie machte eine Pause.
    »Über sechzig? Ist doch nicht möglich!«, sagte EB prompt und zwinkerte Bree zu. »Sie sehen nicht älter aus als vierzig.«
    Bree heuchelte Zustimmung, indem sie ein Ganz recht vor sich
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