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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Autoren: Thomas Buehrke
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kleine Gesellschaft auf den Weg. Maria und die kleine Antonie blieben bei Hebras Gattin. Nach kurzer Fahrt erreichten die Männer das Sanatorium, das es nun zu besichtigen galt. Semmelweis zeigte sich sehr interessiert und bemerkte während eines Gesprächs mit einem Arzt nicht, dass seine Begleiter heimlich das Gelände verließen. Dann schloss man plötzlich hinter ihm die Tür. Man hatte ihn in eine Falle gelockt. Jetzt wurde Semmelweis auch klar, warum die Fenster vergittert waren: Man hatte ihn in einer Irrenanstalt eingesperrt. Er bekam einen Tobsuchtsanfall, so dass ihn die Wärter kaum bändigen konnten. Sie steckten ihn in eine Zwangsjacke und schlossen ihn in einer »Dunkelkammer« ein, wie es hieß.
    Zwei Wochen später, am 14. August, erhielt Maria, die ihren Mann seit der Einlieferung nicht mehr besucht hatte, einenBrief aus der Anstalt. Darin teilte man ihr mit, dass ihr Mann einen Tag zuvor gestorben war. Die Obduktion des Leichnams erfolgte im pathologischen Institut des Allgemeinen Krankenhauses, genau dort, wo Semmelweis selbst viele Leichen seziert hatte und wo bei Kolletschka die verräterischen Symptome gefunden worden waren. Als Ursache für Semmelweis’ Tod gab der untersuchende Arzt eine Verletzung am Mittelfinger der rechten Hand an, die sich Semmelweis angeblich bei einer gynäkologischen Operation zugezogen hatte. Die Wunde hatte sich entzündet, infolgedessen hatten sich am rechten Arm Abszesse gebildet, eine große Metastase war zwischen den Brustmuskeln aufgetreten und hatte das Rippenfell zerstört, im Brustraum hatte sich Eiter gebildet. Es waren ziemlich genau diese Befunde, die Semmelweis 18 Jahre zuvor auf die Spur nach der Ursache des Kindbettfiebers gebracht hatten. Damit hatte sich sein Lebenskreis auf erschreckende Weise geschlossen.
    Zu seiner Beerdigung auf dem Schmelzer Friedhof in Wien kamen nur wenige Trauergäste, weder einer der ehemaligen Kollegen aus Pest noch seine kranke Frau waren angereist. Die Tagespresse und die medizinischen Zeitschriften in Österreich und Deutschland brachten nur kurze Notizen über Semmelweis’ Tod. Eine Würdigung seiner Leistungen erfolgte einzig im ungarischen Journal ›Orvosi Hetilap‹.
    Über Jahrzehnte hinweg blieben stets Zweifel an dem genauen Hergang der Geschehnisse und der Todesursache bestehen. 1963 wurden Semmelweis’ sterbliche Überreste exhumiert. Bei der anschließenden Untersuchung stellten die Ärzte mehrfache Frakturen an Händen und Armen sowie des linken Brustkorbes fest. Der amerikanische Mediziner und Semmelweis-Biograf Sherwin Nuland schloss hieraus, dass Semmelweis in der Irrenanstalt geschlagen und auf ihm herumgetrampelt wurde, während er auf dem Boden lag. Eine plausible Schlussfolgerung, die ihm weitere Kollegen bestätigten, zumal die Wärter in Irrenanstalten keineswegs medizinisch geschultwaren und vor allem kräftig zulangen mussten, wenn es darum ging, Patienten ruhigzustellen.
    In den 1970er Jahren war der Gynäkologe und Medizinhistoriker Georg Silló-Seidl auf diverse Ungereimtheiten im Fall Semmelweis gestoßen. So waren nach dem Tod unterschiedliche und sich widersprechende Autopsiebefunde aufgetaucht. Als Silló-Seidl diese Differenzen aufklären wollte, bemerkte er, dass offensichtlich keiner dieser Veröffentlichungen das Original der Krankenunterlagen zugrunde lag. Und diese Originale waren verschwunden. Nach langen Recherchen konnte Silló-Seidl sie im Archiv der Wiener Gesundheitsbehörde auftreiben. Aus diesem Krankenbericht schloss er, dass Semmelweis sich die Wunde am Finger nicht bei einer Operation zugezogen hatte, sondern sie ihm erst in der Anstalt zugefügt wurde, als man ihn ans Bett fesseln oder in die Zwangsjacke stecken wollte. Dafür sprach auch die Tatsache, dass Janos Bókai in seinem Bericht vor der Einweisung auf keine Wunde hingewiesen hatte, obwohl diese angeblich zu dem Zeitpunkt bereits entzündet gewesen sein soll. Die zunehmende Verschlechterung der Entzündung wurde dann von den Ärzten gar nicht oder zu spät bemerkt, weil man den zu Recht wütenden Semmelweis in der Zwangsjacke ließ.
    Damit nicht genug. Silló-Seidl vermutet, dass die sich über zwei Wochen hinziehende Krankengeschichte gar nicht Tag für Tag, sondern nachträglich aus der Erinnerung und am Stück geschrieben worden sei. Außerdem bezweifelt er, dass Semmelweis wirklich wahnsinnig war. Vielmehr habe man einige auffällige Verhaltensweisen aufgebauscht. Summa summarum vermutet der Medizinhistoriker
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