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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Autoren: Thomas Buehrke
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Juristen bei der kaiserlichen Armee machen wollte. Brav schrieb sich Ignaz im Herbst 1837 an der Universität Wien ein, doch schon bald langweilte er sich. Viel lieber besuchte er zusammen mit einem Freund die finsteren Räume einer ehemaligen Gewehrfabrik in der Schwarzspanierstraße und lauschte in den übel riechenden Sezierkammern den Ausführungen des dortigen Anatomieprofessors. Hier fand der junge Student seine wahre Berufung. Umgehend schrieb er sich an der medizinischen Fakultät ein, wo er 1844 mit einem Thema aus der Botanik promovierte.
    Als Nächstes wollte er seinen Magister machen, was heute etwa dem Facharzt entspricht. Er bewarb sich bei dem Gerichtsmediziner Jakob Kolletschka, der später die entscheidende Rolle in Semmelweis’ Leben spielen sollte, doch der zog einen anderen Bewerber vor. Sehr zu Semmelweis’ Leidwesen erteilte ihm auch ein anderer führender Mediziner eine Absage: Joseph Skoda, der später ebenfalls einen großen Einfluss auf Semmelweis’ Karriere haben sollte.
    Wenn es nicht die Pathologie sein sollte, dann eben die Gynäkologie. Fleißig belegte er die Kurse und machte schon nach einem halben Jahr seinen Magister in der Geburtshilfe. Noch am Tage seiner Magisterprüfung bewarb er sich bei dem Klinikleiter Johann Klein um die in zwei Jahren neu zu besetzende Stelle eines Assistenten. Klein nahm die Bewerbung des Schülers an und erlaubte ihm obendrein, schon jetzt die Klinik täglich besuchen zu dürfen.
    Diese Chance ließ der fleißige Semmelweis nicht ungenutzt verstreichen und verfolgte zudem Vorlesungen der neuen Professoren. An erster Stelle war dies Carl Rokitansky, der 1844 im Alter von vierzig Jahren zum Professor der pathologischenAnatomie ernannt wurde und als einer der Wegbereiter der modernen Medizin gilt. Sein neuer Weg bestand darin, Krankheitsbilder stärker zu systematisieren, indem er nach dem Tod alle Organe untersuchte und aus dem Auftreten gemeinsamer Veränderungen auf die Krankheitsursache schloss. Diese Vorgehensweise war völlig neu und löste bei der alten Wiener Schule eine wissenschaftliche Umwälzung aus. Vollkommen klar, dass der junge Semmelweis von Rokitansky fasziniert war: In den sechs Jahren an der Klinik »untersuchte ich fast täglich alle weiblichen Leichname«, 3 schrieb Semmelweis später – eine Leidenschaft mit zweifelhaften Folgen, wie sich noch zeigen sollte.
    Der zweite Vertreter der medizinischen Avantgarde im Wiener Allgemeinen Krankenhaus war Joseph Skoda, der die Technik der Perkussion bis zur Perfektion entwickelte. Dabei klopfte er auf den Brustkorb eines Patienten und horchte ihn mit einem Stethoskop ab. Wegen dieser Technik, die heute jeder Hausarzt beherrscht, lachten ihn die alteingesessenen Kollegen aus. Der dritte Mediziner in der fortschrittlichen Garde war Ferdinand Hebra, ein Schüler von Rokitansky und Skoda. Er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Lehre von den Hautkrankheiten, also der Dermatologie.
    Als Semmelweis im Juli 1846 seine Assistentenstelle bei Klein antrat, hatte er bereits viel Erfahrung in der Pathologie gesammelt. Nun kam seine Arbeit im Gebärhaus. Dort verbrachte er den größten Teil des Tages, oft auch die Nacht, wobei er sich zunehmend an Untersuchungen und Operationen beteiligte. Nun wurde er auch täglich Zeuge des schrecklichen Kindbettfiebers, das fast immer tödlich endete – für Mutter und Kind. Als Chirurg war er es gewohnt, Menschen heilen zu können, doch bei dieser Krankheit war der Arzt machtlos. Mit Hingabe studierte Semmelweis die Seuche, sei es am Krankenbett, im Seziersaal oder in der Bibliothek.
    Theorien über die Ursache gab es viele. Eine der ersten Vermutungen basierte auf der Beobachtung, dass der Unterleibder verstorbenen Wöchnerinnen von Eiter und anderen Sekreten befallen war. Einige Mediziner glaubten deshalb, das Ausbleiben der Menstruation bewirke eine Ansammlung unreiner Säfte im Blut. Normalerweise würden diese nach der Geburt im Wochenfluss den Körper verlassen. Bleibt dieser aus, dann erzeugen die unreinen Säfte das Kindbettfieber, auch Puerperalfieber genannt. Oder die Hypothese der verhaltenen Milch. Hierbei sollte sich die Muttermilch in Richtung des Beckenraums stauen, von dort in den Blutkreislauf und die Organe gelangen und dann die Sekrete im Uterus hervorrufen. Ursache für diesen Irrglauben war die Annahme, die Milch sei umgewandelte Menstruationsflüssigkeit.
    Die meisten Ärzte waren indes davon überzeugt, dass das Kindbettfieber in
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