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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Autoren: Thomas Buehrke
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ein Komplott, das dazu diente, den unbequemen Mediziner loszuwerden. Tatsächlich war Semmelweis’ Nachfolger ein bekannter Gegner seiner Lehre. Unter seiner Leitung stieg die Sterblichkeitsrate der Wöchnerinnen denn auch wieder an.
    Ob Semmelweis verrückt geworden, nur nervlich überreizt war oder an Alzheimer-Demenz litt, wie Nuland vermutet,wird sich nie klären lassen. Er wurde ein Opfer von uneinsichtigen und eitlen Autoritäten, und er wurde ein Opfer seiner eigenen Ungeduld und Unbeherrschtheit.
    Mit etwas Glück hätte Semmelweis den Krankheitserregern auf die Spur kommen können. Knapp zehn Jahre vor seinem Tod hatte Louis Pasteur mit mikroskopischen Untersuchungen entdeckt, dass Mikroben für die Gärung bestimmter Stoffe verantwortlich sind. Bis dahin waren viele Forscher der Meinung, Gärung sei eine rein chemische Reaktion. Das brachte Pasteur auf die Idee, Bakterien seien auch dafür verantwortlich, dass immer wieder Produkte von Winzern und Brauern in großen Mengen verdarben. Weitere Experimente belegten dann, dass man diese Bakterien durch Erhitzen abtöten kann. Daraus entwickelte sich das Pasteurisieren von Milchprodukten. Pasteur stellte also einen Zusammenhang zwischen Bakterien und krankhaften Veränderungen organischer Substanzen her.
    Hätte Semmelweis diese Ergebnisse gelesen, so wäre er diesem Verdacht vielleicht nachgegangen und hätte die Wundsekrete der an Kindbettfieber verstorbenen Frauen mikroskopisch untersuchen können. Semmelweis hätte dafür auch einen Mitstreiter an der Klinik gefunden: Der fortschrittliche Anatomieprofessor Joseph Hyrtl hatte sich auf Mikroskopie verlegt. Doch Pasteurs Veröffentlichungen erschienen in Chemiezeitschriften, die von Medizinern kaum gelesen wurden.
    Anders verhielt sich der Chirurg Joseph Lister am Glasgow Royal Infirmary. Ohne Kenntnis von Semmelweis’ Studien untersuchte er entzündete Wunden mit dem Mikroskop und kam zu dem Schluss, dass tatsächlich Mikroben für die Entwicklung von Infektionen verantwortlich sind. Er fand dabei auch heraus, dass sich die Bakterien durch Behandlung mit Karbolsäure abtöten ließen. Er nannte diese Methode Antisepsis. Zwei Jahre nach Semmelweis’ Tod veröffentlichte Lister mehrere Artikel darüber in der englischen Fachzeitschrift ›Lancet‹. Jahrelang sah sich Lister in England ähnlichen Widerständenausgesetzt wie Semmelweis, doch letztendlich setzte sich seine Theorie durch. Seitdem gilt der mit vielen Ehrungen überhäufte und in den Adelsstand erhobene Lister als Vater der antiseptischen Chirurgie.
    Unabhängig davon entdeckten 1869 in Frankreich zwei Wissenschaftler im Wochenfluss von Frauen mit Kindbettfieber kettenförmige Mikroben. Zehn Jahre später gelang Pasteur der Nachweis der gleichen Mikroben im Blut von Frauen, die dem Kindbettfieber erlegen waren. So konnte er auf einem Kongress genau das wiederholen, was Semmelweis zwanzig Jahre lang gepredigt hatte: Die Ärzte infizieren die Wöchnerinnen. Jetzt wusste man, dass sie dabei krankheitserregende Mikroben übertrugen.
    Nun wurde den Fachleuten in Deutschland und Österreich auch langsam klar, welches Genie sie in Semmelweis besessen hatten. Im Jahr 1891 wurde an der Universität Budapest ein Semmelweis-Gedächtnis-Komitee gegründet, 1906 weihte man unter großen Festlichkeiten eine Gedenkstatue ein.
    Heute ist das Kindbettfieber weitgehend aus den Kliniken verbannt. Das Problem von Infektionen in Krankenhäusern steht indes nach wie vor auf der Tagesordnung. In Deutschland sterben jährlich etwa 15000 Menschen an Staphylokokken-Infektionen. Deswegen sollen die Hygienevorschriften verschärft werden. Und wie schon zu Semmelweis’ Zeiten geht es wieder darum, dass sich die Ärzte und das Pflegepersonal sorgfältiger die Hände desinfizieren müssen.

Ludwig Boltzmann, Lithografie von Rudolf Fenzl, 1898, © akg-images.

Albert Einstein im Jahr 1953, © akg-images.

Informationen zum Buch
    »Die in diesem Buch beschriebenen Helden waren fast ausnahmslos sehr gute bis ausgezeichnete Schüler und Studenten. Heute würde man sie wohl als hochbegabt einstufen. Auffällig oft widersetzten sie sich in jungen Jahren den Berufswünschen der Eltern, die ihren Kindern unbedingt eine Ausbildung mit sicheren Zukunftsaussichten zukommen lassen wollten, zum Beispiel als Jurist. Doch Vorsicht vor dem Umkehrschluss: Nicht alle Jugendlichen, die sich ihren Eltern widersetzen, sind hochbegabt und steuern auf eine große Karriere zu. Der entscheidende
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