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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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hoch.
    »Ich habe nichts mit dem Vorfall zu tun, aber das scheint nicht zu Ihnen durchzudringen.« Steffen hob die Hand und schob den Kleineren ohne Schwierigkeiten zur Seite. »Ich denke, wir werden sehen, was aus meiner Beförderung wird. Zum Glück sind Sie ja nicht der Einzige, der in der Kommission sitzt.«
    Prutschik fasste mit seiner Rechten nach der Hand des Försters, und mit der Linken umklammerte er dessen Jackett.
    »Sie packen mich nicht noch mal an, Sie nicht!«, kreischte er laut. Köpfe wandten sich in unsere Richtung und wurden zusammengesteckt. Die Umstehenden beäugten den Streit. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich Bestürzung, gepaart mit Neugier und Sensationslust. Die Kapelle spielte einen Tusch. Am Kopfende der Halle kam Bewegung in den Königstisch. Der König und sein Gefolge betraten mit ihren Damen die Tanzfläche. Walzer. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Die Musik schwallte durch den Saal.
    Prutschik ließ sich nach hinten fallen. Für einen Moment zog er mit seinem gesamten Gewicht an Steffens Jackett, dann riss der Stoff, und der Professor fiel zu Boden. Sofort rappelte er sich auf und tobte: »Sie haben mich niedergeschlagen, ich werde Sie verklagen. Verklagen werde ich Sie. Sie werden schon sehen, dass ich am längeren Hebel sitze!«
    Steffen hob die Arme. »Ich habe Sie nicht …«
    »Hah!« Prutschik gackerte wie ein Huhn. »Hah! Ich wusste, dass ich Sie bekomme, Ettelscheid. Sie werden niemals …«
    Der Faustschlag schien Prutschik zu überraschen. Er taumelte und riss die Augen auf.
    Ich stand wie versteinert.
    Wieder lag Prutschik auf dem Boden. Die Musik war zu einem Foxtrott übergegangen. Die Leute klatschten. Eins und zwei und drei und vier und eins …
    Steffen rieb sich die Hand.
    Mit Triumphgeheul sprang Prutschik auf die Füße.
    »Das war’s für Sie, Ettelscheid. Das war’s. Kein Forstamtmann Ettelscheid!« Er griff nach seiner Aktentasche, quetschte sich durch die Bankreihen und rief: »Alle haben es gesehen, Ettelscheid. Alle!«, bis er schließlich ins Freie verschwand.
    Steffen schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.
    »Ein widerlicher Kerl.« Olaf schüttelte seine Hände, als ob er in etwas Unangenehmes gefasst hätte.
    »Er hat recht, Olaf. Das war’s«, sagte Steffen, setzte sich auf die Bank und vergrub seinen Kopf in den Armen.
    Olaf nickte stumm.
    »Steffen, wir können bezeugen, dass er dich provoziert hat.« Ich setzte mich neben ihn.
    Steffen wandte mir sein Gesicht zu. In seinen braunen Augen sah ich mein Spiegelbild. Eingehüllt in den Mantel des schummrigen Lichts, das jetzt wie ein Nebel über dem Saal lag. Niemand schaute mehr zu uns her. Das Schauspiel war vorbei. Discofox. Alle machten mit. Eins, zwei, drei, vier. Die Röcke der Königin flogen mit den letzten Takten. Die Musik war zu Ende. Sie machte einen Knicks vor dem König, verneigte sich und verschwand von der Tanzfläche.
    »Bier?«, fragte Olaf. Ich schüttelte den Kopf. Olaf nickte Steffen zu und stürzte sich ins Thekengewühl. Ihn erschütterte nichts. So schien es zumindest. Ich kannte ihn besser.
    Steffen pflückte meine Hand von seiner Schulter und hielt sie fest. Die Wärme seiner Haut überraschte mich. Sein Blick wanderte über mein Gesicht, die Igelfrisur und die schwarze Strickjacke.
    »Wenn die Frau Kommissarin hier meine Zeugin ist, dann kann es ja nicht so schlimm werden, oder?« Er nickte und rang sich ein Lächeln ab.
    Ich entzog ihm meine Finger und räusperte mich. Er war der Freund meines Bruders, er war viel jünger als ich und hatte eben jemanden niedergeschlagen. Drei Dinge, die ihn definitiv aus meiner engeren Auswahl katapultierten. Aber er war auch verdammt attraktiv, sehr charmant und schien mich zu mögen. Das musste ich zugeben. Außerdem: War ich nicht auf der Suche nach einer Gelegenheit, Vergangenes zu vergessen? Sie saß hier vor mir, und ich musste sie nur ergreifen. Für einen kurzen Moment zögerte ich. Dann trafen sich unsere Blicke, und ich erkannte hinter dem Funkeln in seinen dunklen Augen noch etwas anderes, Tieferes, was mich neugierig machte auf mehr. Viel mehr.
    Vermutlich wäre ich ansonsten auch nie an einem Schützenfestsonntag um fünf Uhr nachmittags mit ihm im Bett gelandet.

ZWEI
    Seine Lippen gleiten über meine Wange, flüstern Worte, die ich nicht verstehe. Seine Hände wandern über meinen Körper, jagen Schauer über meine Seele. Wir sind eins. Der Himmel über uns ist weit und offen und blau. Wie seine Augen. Ich
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