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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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Schule. Das erste Klassentreffen hatte ich geschlabbert, das zweite mit einer Dienstreise verhindert, und vom dritten war ich mit der Erkenntnis nach Hause gefahren, dass auch fünfundzwanzig Jahre nichts Grundlegendes an den Charakteren ändern.
    Die Polizeistation selbst lag am Ortseingang von Schleiden. Mit ihrem Siebziger-Jahre-Schick alles andere als einladend, hockte sie hinter einer Tannenallee und bewachte die Sicherheit des Schleidener Tals.
    Ich stieg aus, schloss meinen Wagen ab und ging zielstrebig auf den Eingang zu.
    »Sauerbier. Kommissar Horst Sauerbier.« Er trug wahrhaftig einen beigefarbenen Trenchcoat, und das Leder seiner Schuhe glänzte wie lackiert. Er kam gerade von einem Außentermin.
    »Hallo.« Ich stand von dem Stuhl auf, der mir die Zeit in dem kahlen Amtsflur erleichtert hatte, und streckte ihm meine Hand entgegen. Über eine Stunde wartete ich bereits auf ihn.
    »Ina Weinz, Kriminalkommissariat Köln.«
    »Ah, eine Kollegin aus der großen Stadt.« Er strich sich eine dünne Haarsträhne über den Kopf. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig. Aber vielleicht machten ihn sein stattlicher Bauch und sein Schnauzbart, der von grauen Strähnen durchzogen wurde, älter, als er in Wirklichkeit war. »Was treibt Sie zu uns aufs Land?« Er öffnete mir die Tür zu seinem Büro und ließ mir den Vortritt. »Die gute Luft? Ist ja für Städter etwas Besonderes!«
    Er zwirbelte seinen Schnauzer, zog dann den Mantel aus und hängte ihn sorgfältig auf den Garderobenständer, der neben der Tür stand.
    »Nein. Ich kenne die Eifelluft. Ich bin von hier.« Weg, ergänzte ich in meinen Gedanken. Dabei lächelte ich freundlich.
    »Ach?« Er spitzte die Lippen und sah mich an.
    »Aus Gemünd. Mein Vater ist Hermann Stein.«
    Er schaute kurz zur Decke und runzelte die Stirn.
    »Steins Hermann aus dem Gesangverein?«
    Ich nickte, und ein Strahlen ging über sein Gesicht.
    »Schöne Stimme, der Vater. Singt Tenor. Ich singe auch dort. Bariton. Kann aber wegen der Arbeit nicht so regelmäßig daran teilnehmen. Schade. Schleiden wird ja bei Mordfällen vom Bonner Kriminalkommissariat bedient. Ich bin quasi ein Gastarbeiter in meinem Heimatdorf.« Er lachte über seinen eigenen Witz. »Aber wem erzähle ich das?« Er räusperte sich. »Ja.«
    Für einen kurzen Moment schwieg er und schob ein paar Akten auf seinem Schreibtisch zusammen. Dabei summte er. Sorgfältig stapelte er sie an der rechten Seite zu einem Turm. Fasziniert beobachtete ich, wie er die Kanten der Hängeregistraturen exakt ausrichtete. Die Reiter zeigten in meine Richtung. Die offiziellen Fallnummern sprangen mir in Fettdruck entgegen. Darüber, mit Hand geschrieben, eine dünne Bleistiftschrift. Automatisch las ich die Beschriftungen. »Meyermann« stand auf der obersten, direkt darunter »Prutschik«. Mir wurde warm, und ich spürte, wie meine Wangen sich röteten. Sauerbier widmete mir wieder seine Aufmerksamkeit.
    »Möchten Sie etwas zu trinken? Ein Wasser oder einen Kaffee?«
    Ich sah mich um. Eine halb volle Flasche schalte auf der Fensterbank in der Sonne vor sich hin.
    Er folgte meinem Blick und sprang auf.
    »Ich hole rasch eine frische. Warten Sie bitte einen Moment.« Er ging um seinen Schreibtisch herum zur Tür, blieb stehen und drehte sich um. »Dann können Sie mir in aller Ruhe erzählen, womit ich Ihnen helfen kann.«
    Ich nickte und starrte auf die Akte. Atmete langsam ein und aus, ein und aus. Meine Hand zitterte, als ich die harte rote Pappe an meinen Fingern spürte. Ich wandte mich um und horchte auf Sauerbiers Schritte. Nichts. Nur schnell die ersten Seiten überfliegen.
    »Möchten Sie mit oder ohne Kohlensäure, Frau Weinz?«
    Sauerbiers Stimme klang sehr nah. Ich warf die Akte auf den Stapel zurück. Was machte ich hier eigentlich? Ein kleiner orangefarbener Zettel fiel aus den Seiten und segelte zu Boden. Ein Name und eine Adresse. Ich setzte meine Handtasche darauf und lehnte mich wieder in meinem Stuhl zurück. Einatmen und ausatmen. Ganz langsam. Es ist nichts geschehen.
    »Mit oder ohne, Frau Kollegin?« Er stellte ein Glas und zwei Flaschen vor mir ab.
    »Mit. Danke.« Jetzt konnte ich das Wasser wirklich gebrauchen. Mein Hals war wie ausgetrocknet.
    »Ich möchte gerne mit Steffen Ettelscheid sprechen, wenn Sie es mir erlauben, Herr Sauerbier.«
    Seine Augenbrauen schoben sich zu einem einzigen Strich zusammen.
    »Warum? Hat die Kripo in Köln etwa mit dem Fall zu tun?«
    »Nein.« Ich räusperte mich. »Es ist
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