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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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versinke in dem Blau seiner Augen.
    Ich falle.
    Verliere den Halt, greife ins Leere.
    Ich falle.
    Rückwärts, blind. Unter mir die Tiefe, ich weiß es. Und während ich falle, springt mein Herz. Jede Faser meines Körpers bereitet sich auf den Aufprall vor, den ich nicht überleben werde.
    Ich weiß es. Ich schwitze. Ich schreie.
    »Ina!«
    Ich fühlte den Fall und wartete auf den Aufprall.
    »Ina, wach auf!«
    Ich schlug die Augen auf. Olaf stand über mein Bett gebeugt, Panik in den Augen und nass geschwitzt.
    Nur mühsam kämpfte ich mich in die Wirklichkeit. Der Alptraum hatte mich im letzten Monat in Ruhe gelassen. Warum kam er jetzt wieder? Ich kniff die Augen zusammen und richtete mich auf.
    Olaf setzte sich auf die Bettkante. »Steffen wurde verhaftet!« Er schüttelte den Kopf. Atemlos. »Du musst ihm ein Alibi geben. Du warst doch gestern Nacht mit ihm zusammen.« Jetzt klang er wie der kleine Junge, der so oft im Dunkeln zu seiner großen Schwester geflüchtet war.
    Für einen Moment wusste ich nicht, wovon er redete.
    »Was ist passiert?« Ich musste zuerst meine Gedanken in eine vernünftige Reihenfolge bringen.
    »Sie haben Prutschik gefunden. Er ist tot. Erschlagen. Neben dem Schwimmbad. Sie sagen, Steffen hätte es getan. Sie haben sich gestritten, und Steffen hat ihn getötet. Sagen sie.«
    »Warum ausgerechnet Steffen?« Ich war wach. »Warum nicht irgendein anderer Besucher des Schützenfestes? Und wer sagt das?«
    »Kommissar Sauerbier. Wegen des Streits!« Olaf starrte auf seine Hände.
    »Was ist damit?«
    »Ein Kollege Sauerbiers war auf dem Fest und hat den Streit beobachtet. Klar, dass sie da Rückschlüsse ziehen. Der Verdächtige auf dem Silbertablett. Danke schön und auf Wiedersehen!« Olaf richtete sich auf, holte tief Luft und lächelte mich an. »Aber das ist ja alles kein Problem mehr, wenn du gleich zur Polizei gehst und ihnen sagst, dass ihr die Nacht miteinander verbracht habt.«
    »Das kann ich nicht, Olaf.«
    »Du kannst nicht?« Er wich von mir zurück, als ob ich ihn geschlagen hätte. »Ach Scheiße, Ina! Hast du Angst, dein Ruf wäre ruiniert?« Er lachte bitter. »Kölner Kommissarin hüpft durch Eifelbetten! Und alle zerreißen sich das Maul. Denk mal nicht an dich, Schwester! Nur ausnahmsweise nicht!«
    »Olaf!«, zischte ich. »Sei still!«
    »Ach, es geht doch immer nur um dich, seit du diesen, diesen …« Olaf schnaubte die Worte heraus. »Nistest dich bei mir ein, kümmerst dich um nichts! Hauptsache, du hast deinen Frieden, richtig?«
    »Steffen und ich haben nicht die Nacht miteinander verbracht. Ich kann ihm kein Alibi geben, weil es gelogen wäre.«
    »Aber ihr seid doch zusammen weggegangen.« Er runzelte die Stirn.
    »Ja.« Ich seufzte. »Aber zur Tagesschau war ich wieder hier.« Aus genau den Gründen, die mein Bruder eben genannt hatte. Und ein paar anderen mehr. Aber darüber konnte ich später nachdenken.
    »Dann hilf ihm wenigstens, Ina. Du bist Kommissarin. Du bist meine Schwester. Er ist mein bester Freund. Du hast mit ihm geschlafen. Du weißt, was zu tun ist. Du kannst doch nicht zulassen, dass ein Unschuldiger …«
    »Ist er das?«, unterbrach ich ihn. Ich fror.
    Olaf starrte mich mit offenem Mund an.
    »Du glaubst, er hätte Prutschik umgebracht?«
    »Ich glaube nichts, Bruder. Weder das eine noch das andere. Ich kenne ihn ja kaum.« Stimmte das? Gestern hatte mein Gefühl mir definitiv etwas anderes gesagt. Aber auf mein Gefühl, so hatte ich vor Kurzem beschlossen, wollte ich ja nicht mehr hören.
    Ich zerrte meine Jeans aus dem Wäschehaufen auf dem Boden und zog sie an. »Außerdem«, der Jeans folgte ein T-Shirt, »bin ich beurlaubt. Vergiss das nicht. Keine Kommissarin.«
    * * *
    Die Nacht hatte ihre Schatten verloren und befand sich auf dem Rückzug. Noch im Schlaf klärten sich ihre Gedanken, und sie erkannte ihre innerste Wahrheit. Sie erwachte, fing die Erinnerung an den Traum auf und fühlte sich zum ersten Mal wieder wie an dem Tag, als sie ihr Abschlusszeugnis in der Hand hielt mit dem Bewusstsein, nun gehöre ihr die Welt. Frei und ohne Enge. Fortgehen können. Kein Umdrehen. Jetzt war sie hier. Ihr Blick fiel auf den schimmernden Stoff. Er war schön. Schön wie sie selbst. Sie lächelte. Ein schönes Kleid. Sie schlug die Bettdecke zurück, schob die Beine aus dem Bett und stand auf. Im Nebenzimmer schnarchte ihr Bruder. Sie konnte ihn hören. Vater hörte sie nicht mehr. Prinzessin.
    Sie ging zur Terrassentür, öffnete sie und
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