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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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beobachtete an Steffen vorbei die Reaktion des Mannes. Er drängelte sich aus der Bank und stellte sich an die Stirnseite unseres Tisches.
    »Was ist, Ettelscheid?« Er stützte sich mit den Handknöcheln ab. »Soll ich Ihnen auf die Sprünge helfen?«
    »Ich würde gerne sagen, dass ich mich freue, meinen alten Lehrer nach so langer Zeit in unserer gemeinsamen Heimat wiederzutreffen. Aber ich lüge nur ungern, Herr Prutschik. Es ist schon schlimm genug, wie sich unsere Wege immer wieder kreuzen müssen. Leider gibt es nicht so viele Forsthochschulen in Deutschland, als dass ich Ihnen hätte ausweichen könnte, auch wenn mir das sehr lieb gewesen wäre.«
    »Dreist, arrogant und unverschämt – so kenne ich Sie, Ettelscheid. So waren Sie als Student, und so sind Sie heute immer noch. Ich habe mich erkundigt über Sie! Erkundigt!« Kleine Tropfen sprühten aus seinem Mund, während er sprach. »Sie haben sich nicht verändert, und ich habe es auch nicht von Ihnen erwartet.«
    »Bitte gehen Sie, Herr Prutschik. Oder sind Sie extra hergekommen, um sich mit mir über meinen Charakter zu unterhalten?«
    »Ihr Charakter, Ettelscheid, ist nicht der Rede wert. Ihre Taten schon. Vor allem Ihre Missetaten.«
    Der Frauenkegelclub war verstummt und verfolgte reglos den Streit der beiden Männer. Die Blicke der Frauen flogen zwischen den beiden Kontrahenten hin und her und ließen keinen Zweifel an der Sympathielage.
    »Es war nicht meine Missetat, sondern Ihr Unfall, Herr Prutschik. Ich hatte damit nichts zu tun.«
    »Oh, sind Sie da so sicher, Ettelscheid? So sicher?« Prutschik zog eine Mappe aus seiner Aktentasche, öffnete den Knopfverschluss und legte einzelne Blätter vor uns auf den Tisch. Ich erkannte den Briefkopf einer Polizeibehörde aus dem Süddeutschen.
    »Ich habe hier den Polizeibericht vom 28.03.2002 der Stadt Weihenstephan. Ich zitiere.« Er hob sich auf die Zehenspitzen, wippte und räusperte sich. »… vor dem Hochschulgebäude verletzt aufgefunden. Das Opfer, Professor Prutschik, erlitt schwere Verletzungen am Schädel, am Rücken und an beiden Händen.« Prutschik setzte die Brille ab und geiferte Steffen an. Sein Glasauge schimmerte im Licht der Festbeleuchtung.
    Steffen stand auf und holte tief Luft. Ich sah, wie schwer es ihm fiel, ruhig zu bleiben.
    »Sie haben den Vorgang bei der Polizei so zu Protokoll gegeben. Es gab keinen Zeugen. Es gab keinen Überfall. Von mir nicht und von niemand sonst.« Steffen blickte auf den Professor hinunter. Dann drehte er sich zu uns herum. »Ich gehe jetzt, Olaf. Morgen wird ein harter Tag werden.« Er deutete eine Verbeugung an und lächelte mir zu. »Ina.« Dann wandte er sich an Olaf. »Bleibt ihr noch?«
    »Sie waren doch der Anführer dieses Studentenrudels, Ettelscheid. Sie haben mich gehasst, Ettelscheid, mich gehasst!« Prutschiks Stimme überschlug sich. Er stellte sich Steffen in den Weg. Steffen blieb dicht vor dem Tobenden stehen, der neben ihm wie ein Erstklässler aussah.
    »Herr Prutschik, bitte gehen Sie mir aus dem Weg. Und vielleicht erinnern Sie sich. Sie haben mich schon damals beschuldigt. Die Polizei hat mich überprüft. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in der Stadt. Was sollte ich auch da? Sie hatten mich ja durch die Prüfung fallen lassen. Ich hatte mit Sicherheit keinen Grund zu feiern und danach einen Dozenten …«
    »Professor, für Sie immer noch Professor Prutschik, Ettelscheid.« Prutschik rührte sich keinen Millimeter.
    »Ich denke, Herr Ettelscheid hat sich klar ausgedrückt.« Ich packte meine Kommissarinnenstimme aus und strich mir die Haare hinter die Ohren, um einen strengeren Eindruck zu machen. »Seine Unschuld wurde bewiesen. Was Sie machen, ist Verleumdung.« Prutschik reagierte nicht. Olaf berührte den Professor am Ärmel. Der zuckte zusammen und schüttelte die Hand ab, als wäre sie ein Insekt. Dabei schlugen seine grauen Haarsträhnen wie Schlangen um seinen Kopf, aber er hielt den Blick auf Steffen gerichtet.
    »Man sieht sich immer zwei Mal, Ettelscheid. Zwei Mal.« Sein Finger schoss vor und bohrte sich vor Steffen in die Luft. »Sie werden nicht Forstamtmann werden, Ettelscheid. Sie nicht. Solange ich etwas zu sagen habe, Sie nicht.« Prutschik zischte. »Ich lasse mich nicht folgenlos von einem dahergelaufenen Studenten zusammenschlagen.«
    Steffen ballte die Fäuste.
    »Und jetzt haben Sie noch die Dreistigkeit, hier so zu tun, als ob Sie unschuldig wären«, keifte Prutschik, die Stimme unnatürlich
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