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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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sagst es nur. In Wirklichkeit soll ich bloß wieder die Kohlen für dich aus dem Feuer holen, richtig?« Ich stellte meine Füße auf den Boden und knallte die Tasse auf den Tisch. Die braune Flüssigkeit schwappte über meine Finger und mein T-Shirt. »Mist!« Im selben Moment tat mir meine heftige Reaktion schon wieder leid. Ich packte seine Hand, hob sie hoch und umfasste sie. »Entschuldigung!« Obwohl die Hand meines Bruders viel größer war als meine, fühlte sie sich für einen Moment klein und zerbrechlich an. »Du kannst ihm genauso gut helfen wie ich, Olaf.«
    Er rührte sich nicht. Nur seine Augen fixierten mich, als er leise flüsterte: »Bitte, lass mich nicht im Stich, Ina.«
    »Das hab ich nie getan. Und du weißt das.«
    Mit einem Ruck entzog er mir seine Hand, befreite sich aus der Küchenbank und ging zur Tür.
    »Wenn du dir da mal nicht zu sicher bist, Schwesterlein!«
    Ich blickte ihm nach, als er aus der Tür ging, und hatte wieder das Bild seines Fensters an meinem Auszugstag vor Augen. Die Gardine hatte sich bewegt. Damals hatte ich es gesehen. Jetzt erkannte ich es.
    »Wie schlimm ist es?« Hermann seufzte und sah mich an.
    »Was meinst du?« Ich pustete Wellen in die Oberfläche meines Kaffees. »Den Streit mit Olaf? Dass heute Morgen der Mann unter Mordverdacht verhaftet wurde, mit dem ich gestern geschlafen habe?«
    Eine steile Falte erschien auf der Stirn meines Vaters. Er sah wie eine Kopie von Olaf aus, älter zwar und zwanzig Kilo leichter, aber unverkennbar die gleiche große Statur, das gleiche dichte Haar, die gleiche Mimik. Zwei von einem Stamm. Er schwieg weiterhin und hörte mir zu.
    »Dass ich vom Polizeidienst beurlaubt bin? Dass ich nicht weiß, warum ich eigentlich wieder nach Gemünd gekommen bin? Dass ich nicht einmal weiß, ob ich bei der Mordkommission bleiben will, wenn ich hier fertig bin?«
    »Womit fertig?«
    »Sag es mir, Pap.« Keine Kommissarin. Nur das kleine Mädchen.
    Er schüttelte den Kopf, lächelte und setzte sich neben mich.
    »Große Ina!« Trostformel aus Kindertagen.
    Ich fühlte den Kloß hinten in meinem Hals. Trotzdem musste ich grinsen.
    »Ein bisschen mehr als ein aufgeschlagenes Knie vom Fahrradfahren ist es diesmal schon.«
    Hermann ging zum Spülbecken und ließ Wasser hineinlaufen.
    »Du hast ein paar Narben auf den Beinen. Vom Hinfallen, das stimmt. Aber geheilt ist es immer. Wichtig ist, dass du aufgestanden und wieder aufs Rad gestiegen bist.« Er warf mir ein Geschirrtuch zu und sang die nächste Strophe des Liedes über freudige Wintertage, lustige Abendspiele und zusammenbrechende Kartenhäuschen.
    »Stimmt«, unterbrach ich ihn. »Aber ich spüre die Narben bei jedem Wetter.«
    »Hindern sie dich beim Gehen?« Er ließ klares Wasser über ein gespültes Glas laufen.
    »Nein.« Ich legte das Geschirrtuch auf den Tisch. Mein Vater zeigte stumm mit dem Kinn auf das Glas. Ich seufzte.
    »Weitermachen, Kind. Nicht eine Sache mittendrin aufhören.«
    Meinte er das Glas? Ich hob es hoch und polierte es auf Hochglanz. Ich war hierher zurückgekommen, um herauszufinden, wer ich war und was ich für mein Leben wollte. Im Beruf. Und für die Seele. Langsam wurde es Zeit, dass ich damit anfing.
    Ich räusperte mich. »Wie hieß noch mal der Kommissar, der Steffen verhaftet hat?«

DREI
    Auf der Fahrt nach Schleiden überlegte ich, was ich zu ihm sagen wollte. Mein alter apfelgrüner Käfer knatterte munter vor sich hin. An der Kreuzung neben der Sankt-Nikolaus-Kirche wartend, entschied ich mich für die Wahrheit. Zweihundert Meter weiter auf der Schleidener Straße ließen mich meine Unsicherheit und meine Zweifel eine Ehrenrunde durch den Verkehrskreisel drehen.
    Als ich ein Kind war und diese Strecke täglich zuerst mit dem Zug und dann mit dem Bus zur Schule fuhr, gab es den Kreisel noch nicht. Wann hatten sie ihn gebaut? Ich wusste es nicht. Hatte auf die Veränderungen nicht geachtet. Aber jetzt fielen sie mir auf. Die kleinen und die großen Veränderungen. Wohin war ich zurückgekommen? In ein Bild, das ich all die Jahre mit mir herumgeschleppt hatte? Ein Bild von der heilen Welt meiner Kindheit? Ich blinzelte und musste grinsen, als zur linken Seite der Reitstall auftauchte. Dieser Teil des Bildes zumindest stimmte. So wie der Fußballplatz, das Autohaus und die kleine Pestkirche in Olef sich genau wie in meiner Erinnerung entlang der Straße präsentierten.
    Die Schule grüßte vom Hügel herunter wie vor neunundzwanzig Jahren.
    Meine
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