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Geliebter Tyrann

Titel: Geliebter Tyrann
Autoren: Jude Deveraux
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benommenen Zustand war Nicole etwas an Bianca aufgefallen - sie konnte die körperliche Nähe von Männern nicht ertragen. Sie wollte sich in keiner Weise von einem Mann berühren lassen, wenn sie das vermeiden konnte. Sie sagte, sie fände Männer roh, laut und gefühllos. Nur einmal hatte Nicole sie einen Mann mit echter Wärme anlächeln sehen, und das war ein zierlich gebauter, junger Mann mit üppigen Spitzen an den Manschetten und einer juwelenbesetzten Schnupftabaksdose in der Hand gewesen. Ein einziges Mal schien Bianca keine Angst vor einem Mann gehabt zu haben, und sie hatte ihm sogar gestattet, ihm die Hand zu küssen. Nicole empfand eine gewisse Scheu vor Bianca, die bereitwillig über ihre Aversion gegen die Berührung eines Mannes hinwegzusehen und zu heiraten bereit war, um ihren gesellschaftlichen Status zu verbessern. Vielleicht hatte Bianca keine Vorstellung davon, was zwischen einem Ehemann und seiner Frau vorging.
    Die beiden Frauen verließen das kleine Haus, sie gingen die schmale Treppe mit ihrem zerschlissenen Teppich hinunter.
    Hinter dem Haus befand sich ein kleiner Stall mit einer Remise, die beide von Jacob Maleson in einem viel besseren baulichen Zustand erhalten wurden als das Wohnhaus. Jeden Nachmittag um halb zwei fuhren Bianca und Nicole in einem eleganten Einspänner durch den Park. Das Parkgelände hatte einmal der Familie Maleson gehört, war inzwischen jedoch das Eigentum von Leuten, die Bianca als Emporkömmlinge und Plebs bezeichnete. Sie hatte nie gefragt, ob sie durch das bewaldete Gelände fahren dürfe, doch bisher hatte sie noch niemand zur Rede gestellt Zu dieser Tageszeit konnte sie sich einbilden, Herrin auf einem großen Landsitz zu sein, wie es ihre Großmutter einmal gewesen war.
    Ihr Vater weigerte sich, einen Kutscher für sie einzustellen, und Bianca wollte weder neben einem nach Dung riechenden Stallburschen sitzen noch ihre eigene Kutsche lenken, so blieb also nur der Ausweg, daß Nicole das Gefährt kutschierte. Angst vor einem Pferd schien sie wirklich nicht zu haben.
    Nicole fuhr nur zu gerne mit der kleinen Kutsche aus. Zuweilen, wenn sie ein paar Stunden genäht hatte, ging sie morgens, ehe Bianca erwachte, hinunter in die Ställe und streichelte den schönen braunen Wallach. In Frankreich, ehe die Revolution ihr Heim und die Lebensweise ihrer Familie vernichtet hatte, war sie oft vor dem Frühstück stundenlang ausgeritten. Diese stillen frühen Morgenstunden ließen sie beinahe den Tod und das Feuer vergessen, das ihr immer noch vor Augen stand.
    Der Park war im Juni besonders schön, die Bäume formten mit ihrem Laubwerk ein Gewölbe über den kiesbestreuten Parkwegen, spendeten Schatten und malten hübsche, kleine bewegte Muster auf ihre Kleider. Bianca hielt einen Sonnenschirm aus gekräuseltem Stoff im schrägen Winkel über ihren Kopf und bemühte sich sehr, auf diese Weise die Blässe ihrer Haut zu erhalten. Sie warf einen Blick auf Nicole und schnaubte. Das dumme Mädchen hatte seinen Strohhut auf den Sitz zwischen sie gelegt, und der Wind blies durch ihr schimmernd schwarzes Haar. Ihre Augen glitzerten im Sonnenlicht, und die Arme, mit denen sie die Zügel hielt, waren schlank und wohlgerundet. Bianca sah angewidert zur Seite. Ihre eigenen Arme waren außerordentlich weiß und von weicher Plumpheit, wie es sich für eine Frau gehörte.
    »Nicole!« rief Bianca keuchend. »Könntest du dich nicht einmal wie eine Lady benehmen? Oder dich wenigstens darauf besinnen, daß ich eine bin? Es ist schon schlimm genug, daß ich mich mit einer halbentkleideten Frau sehen lassen muß; doch jetzt zwingst du mich auch noch dazu, in diesem Ding zu fliegen.«
    Nicole breitete den dünnen Baumwollschal über ihre bloßen Arme, setzte jedoch nicht ihren Strohhut auf. Gehorsam gab sie dem Pferd mit schnalzender Zunge das Zeichen, langsamer zu gehen. Nur noch ein bißchen Geduld, dachte sie, und ich bin nicht mehr unter Biancas Fuchtel.
    Plötzlich wurde der Frieden des Nachmittags von vier Männern auf Pferden erschüttert. Sie ritten große Tiere mit dicken Füßen, die sich eher zum Ziehen eines Wagens als zum Reiten eigneten. Es war ungewöhnlich, daß die beiden bei der Ausfahrt jemandem im Park begegneten, zumal Männern, die offensichtlich keine Gentlemen waren. Ihre Kleider waren zerlumpt, ihre Drillichhosen voller Flecken. Einer der Männer trug ein langärmeliges Baumwollhemd mit großen roten und weißen Streifen.
    Ein ganzes Jahr lang hatte Nicole in
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