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Geliebter Normanne

Geliebter Normanne

Titel: Geliebter Normanne
Autoren: Rebecca Michéle
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verlassen hatten, um sich der riesigen Streitmacht der Normannen entgegenzustellen. William, Herzog der Normandie – so lautete der Name des Anführers der Feinde. Aufgrund einer eher zweifelhaften Abstammung beanspruchte dieser die Krone Englands. Sein eigenes Herzogtum jenseits des Kanals genügte ihm offenbar nicht mehr. Hayla waren Gerüchte zu Ohren gekommen, dass der frühere angelsächsische König Edward, der Bekenner, seinem normannischen Verwandten einst versprochen hatte, ihn zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Ein Versprechen, von dem der jetzt auf dem Thron sitzende König Harold II . natürlich nichts mehr wissen wollte. Selbstverständlich glaubte und vertraute Hayla dem König, nicht nur, weil er ihr Vormund und sie sein Mündel war, sondern weil sie den König als ehrlichen und tapferen Mann kennengelernt hatte, der sich um seine Untertanen sorgte. Ihre Mutter war kurz nach ihrer Geburt gestorben, und sie war erst sechs Jahre alt gewesen, als ihr Vater in einem Kampf tödlich verwundet wurde. Da ihre Familie schon lange Harolds Familie in Freundschaft verbunden war, erklärte sich Harold – damals noch Herzog von Wessex und Kent – sofort bereit, sich um das Kind zu kümmern und es in seine Obhut zu nehmen.
    Die letzten elf Jahre war Hayla sorglos und unbeschwert im Kreise gebildeter und vornehmer Menschen aufgewachsen. Die meiste Zeit lebte sie in Fendenwic in der Grafschaft Kent und hatte bisher weder Kummer oder gar Angst gekannt. Zwar hatte es, solange Hayla denken konnte, immer wieder kriegerische Angriffe vonseiten der Dänen gegeben, aber die Kämpfe waren weit entfernt gewesen, und der König hatte immer die Oberhand behalten. Zudem verfügte die Burg über einen steinernen, massiven Fried, in dem sich mehrere Wohnräume befanden, und war von einer hohen hölzernen Palisade umgeben. Harold hatte dafür gesorgt, dass Hayla von Gelehrten gut unterrichtet wurde. So konnte sie nicht nur Englisch lesen und schreiben, sondern war auch der französischen Sprache mächtig, und ein junger Mönch hatte sie sogar in die Grundkenntnisse des Lateinischen eingeführt. Hayla wusste, dass von ihr erwartet wurde, eine standesgemäße Ehe einzugehen. Vor allem jetzt, da ihr Vormund König von England war. Vor drei Wochen war Hayla siebzehn Jahre alt geworden, und wären nicht die immer wiederkehrenden Angriffe der Norweger auf den Norden Englands gewesen, wäre sie heute bereits verheiratet. Sie war Mandric, dem Mann, den der König für sie ausgewählt hatte, erst drei- oder viermal begegnet. Er war noch jung, nur wenige Jahre älter als Hayla, und mit seinen dunklen Haaren und Augen sah er recht gut aus. Vor allem aber stammte Mandric aus einer alten und tadellosen englischen Familie, so dass Hayla über die vom König bestimmte Verbindung angetan war. Über so was wie Liebe oder Leidenschaft machte sie sich keine Gedanken – das waren Gefühle, mit denen sich die Bauernmädchen und Mägde beschäftigten. Folglich galt ihre Sorge nicht nur ihrem Vormund, sondern auch Mandric, der an der Seite des Königs dem Feind entgegengezogen war, und sie hatte am gestrigen Abend für beide Männer ein langes Gebet gesprochen.
    Nachdem die beiden älteren Männer ihren Streit beigelegt hatten, legte sich erneut eine angespannte Stille über die Kammer, in der alle auf eine Nachricht vom Schlachtfeld warteten. Keinen Moment zweifelte sie daran, dass der König die feindlichen Eindringlinge schlagen und wieder aus England vertreiben würde, dennoch ließ die Unruhe sie nicht los, denn niemand wusste über die Größe und Stärke des normannischen Heeres Bescheid.
    Als gegen Morgengrauen – keiner der Burgbewohner hatte in dieser Nacht auch nur ein Auge zugetan – Hufgetrappel zu hören war und zwei schmutzige und erschöpfte Reiter in den Burghof galoppierten, atmete nicht nur Hayla erleichtert auf. Nichts war schlimmer als die Ungewissheit. Unverzüglich wurden die beiden Boten zu Sir Leofric und Sir Alfred in die Kammer geführt, doch als Hayla einen Blick in ihre Gesichter warf, ahnte sie, welche Nachricht die Männer brachten.
    »Wir sind geschlagen!« Der Bote keuchte, griff dankbar nach dem gefüllten Bierbecher, den Hayla ihm reichte, und leerte ihn in einem Zug. »Der König ist tot …«
    »Nein!«, rief Lady Elfgiva und erbleichte. »König Harold darf nicht tot sein! Das ist unmöglich.«
    »Es tut uns leid, Euch solch furchtbare Nachrichten überbringen zu müssen, aber ich habe selbst gesehen, wie
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