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Geliebter Normanne

Geliebter Normanne

Titel: Geliebter Normanne
Autoren: Rebecca Michéle
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Frauen hielten sich an den Händen, und die Kinder versteckten sich hinter ihnen.
    »Wer hatte bisher hier das Sagen?«, brüllte er in einem von starkem Akzent geprägten Englisch.
    Zögernd hinkte ein glatzköpfiger Greis aus der Gruppe nach vorn und neigte sein Haupt. Es handelte sich um Alderic, früher ein tapferer Ritter, der seit einem Kampf ein Bein nachzog, und der älteste Bewohner von Penderroc.
    »Mein Herr, auf diesem Anwesen gibt es niemanden mehr, der uns Befehle gibt. Unser Herr ist tot …«
    »Dann ist es ja gut, dass ich da bin.« Der Normanne grinste selbstzufrieden. Hayla erschrak über die Kälte in seiner Stimme. »Nur Alte, Frauen und Kinder … was für ein feiner Haufen. Wo ist eure Schatzkammer? Wo habt ihr euer Geld versteckt?«
    Alderic hob hilflos die Hände. »Wir besitzen längst keine Münzen oder anderen Wertgegenstände mehr. Seit Monaten haben wir kaum genügend zu essen, die letzte Ernte war schlecht …«
    »Ihr seid ein faules Pack!«, unterbrach der Normanne den Alten zornig. »Los, worauf wartet ihr noch? Wir sind hungrig und durstig. Ich bin sicher, in eurer Küche und euren Lagerhäusern wird sich genügend finden, um mich und meine Männer satt zu machen. Und ihr« – er wandte sich an seine Begleiter – »durchsucht die Burg und die Hütten und bringt alles von Wert her, lasst ja keinen Winkel aus.«
    Mutig trat Waline einen Schritt vor.
    »Wir werden uns Euren Befehlen beugen, Herr, aber sagt: Wie ist Euer Name? Wie sollen wir Euch ansprechen?«
    Der Normanne musterte Waline verächtlich von oben bis unten.
    »Herr als Anrede reicht völlig aus, aber wenn ihr wissen wollt, wen ihr vor euch habt – mein Name ist Sir Ralph Clemency, ich und meine Männer werden diesen Haufen hier auf Vordermann bringen.«
    Erschrocken trat Hayla von ihrem Lauschposten auf dem Söller zurück, obwohl sie sicher war, dass Sir Ralph sie nicht bemerkt hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Männer, die nun ausschwärmten, die Burg zu durchkämmen, sie entdecken würden. Rasch bückte sie sich, nahm etwas Schmutz vom Boden auf und beschmierte damit ihr Gesicht und ihr Haar, dann scheuerte sie mit ihrem Kleid an der Wand entlang. Sie wollte den Anschein erwecken, eine einfache Magd zu sein. Plötzlich hörte sie, wie Sir Ralph auf Französisch den Befehl gab, jeden Bewohner zu töten, der es wagen sollte, Widerstand zu leisten. Hayla wusste, sie war die Einzige auf Penderroc, die der Sprache der Normannen mächtig war, aber das durfte Ralph Clemency keinesfalls erfahren. Hayla holte tief Luft, straffte die Schultern, dann ging sie den Männern, deren schwere Schritte bereits auf der Treppe zum Söller zu hören waren, entgegen. Ein Entrinnen gab es ohnehin nicht, also wollte sie es rasch hinter sich bringen. Zwei der Männer grinsten bei ihrem Anblick, ein dritter betrachtete lüstern ihren Körper, aber man ließ sie vorerst unbehelligt und schleppte sie nach unten zu den anderen, die von den Männern in die Halle gebracht worden waren und sich zitternd gegen die Südwand drückten. Von drei Normannen bewacht, die ihre blanken Schwerter vor ihren Nasen tanzen ließen, musste Hayla mit ansehen, wie die Männer in wilder Wut alles durchwühlten. Auf der Suche nach Wertsachen stürmten sie durch die Räume, rissen Truhen und Kästen auf, und als Sir Ralph weder Geld noch sonstige Dinge, die irgendeinen Wert besaßen, fand, hieb er voller Zorn die Möbelstücke mit seinem Schwert kurz und klein, und im Nu war die Halle verwüstet. Eine dicke, blaue Ader schwoll auf Sir Ralphs Stirn.
    »Räumt hier auf und bringt etwas zu essen und Bier. Viel Bier!«, befahl er, ohne jemanden direkt anzusehen. »Ich nehme nicht an, dass es hier irgendwo Wein gibt?«
    »Nein, Herr, nur Bier«, beeilte Waline sich zu versichern und huschte in die Küche. Da sie niemand daran hinderte, folgte Hayla der Magd, die am ganzen Körper zitterte und die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
    »Wenigstens leben wir noch.« Hayla seufzte und griff nach einem Tontopf. Sie wusste, es war nur ein schwacher Trost, denn bereits die kurze Zeit, die Ralph Clemency auf Penderroc weilte, hatte gezeigt, wie hart und grausam er war. Hayla wusste, er konnte sie nicht alle töten, denn seine Männer waren Ritter und Kämpfer und keine Bauern. Sie verstanden nichts von Ackerbau, Viehzucht oder wie man aus nur wenigen Zutaten ein schmackhaftes Mahl zubereitete. Hayla fürchtete im Moment nicht um ihr Leben, und Zorn auf
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