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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr
Autoren: Leo Sander
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vorerst. Ich habe gerade nicht mehr dabei.« Sie klappte die Tasche zu.
    Mehr hatte ich nicht einmal auf meinem Konto. Und auch keine Gewerbeberechtigung. Würde also illegal tätig werden. Steuern hinterziehen sowieso.
    Ich nickte und sagte: »Ich rufe Sie an.«

    *

    Ein weißhaariges Männchen hopste agil die Treppenstufen hoch, vorbei an der entschwindenden Almuth Amras und streckte mir forsch die Hand entgegen, bevor ich meine Tür zumachen konnte.
    Ich ergriff sie. Muränenbiss, durchfuhr es mich.
    »Sie sind neu eingezogen, gell? Willi Weichselbaum, sehr erfreut.« Er pumpte meine Hand wie einen Ziehbrunnenschwengel. »Ich sage Ihnen gleich: das Wichtigste ist das Putzen!«
    »Das Putzen?« Ich bekam meine Hand wieder und nahm plötzlich den leisen Duft nach Schmierseife und Heizöl wahr, der sich durch das Haus zog. Willi Weichselbaum trug ein rot kariertes Flanellhemd mit zugeknöpfter Strickjacke darüber und eine altertümliche graue Arbeitshose mit Kordelzug. Seine Füße steckten in unförmigen Pantoffeln.
    Er nickte eifrig. »Sie sind nämlich schon diese Woche dran. Ihr Bereich ist der Flur hier und die Stiege bis hinunter in den Keller.« Die ausgestreckten Arme schwenkend zeigte er auf das zu putzende Areal wie Flugbegleiter auf die Leuchtstreifen im Boden. »Kehren und nass wischen.«
    In meiner alten Wohnung hatte das der Hausbesorger erledigt. »Ist gut«, sagte ich resigniert.
    »Aber wissen Sie«, raunte er verschwörerisch und reckte sich mir entgegen, »in den Häusern gegenüber gibt’s Frauen, die erledigen das für zehn Euro.«
    »Nein, ist schon gut, ich mache das selbst«, erklärte ich unerschrocken.
    »Sie sind ein Mordskerl.« Er musterte mich von oben bis unten wie beim Morgenappell. »Sie haben sicher keine Probleme bei Frauen, nicht wahr?«
    Ich lachte. »Nein.« Was würde Bettina dazu sagen? »Keinerlei Probleme.«
    »Ich wohne im ersten Stock. Ein Jammer mit dem Richter Franz, was?«
    »Mein Vormieter? Ich habe ihn gar nicht gekannt. Was ist denn passiert?« Die Ermittlungen kamen bereits ins Rollen. Ich lehnte mich an den Türrahmen.
    Herr Weichselbaum blinzelte neugierig an mir vorbei in das Vorzimmer. »Ausgerutscht. In der Küche. Zack.« Er legte den Kopf schief und illustrierte einen Genickbruch.
    »Einfach so?«
    »Ich habe ihn gefunden. Das heißt, ich habe die Polizei geholt, als er nicht aufgemacht hat. Wir waren nämlich verabredet um sechs in der Früh. Wir wollten zusammen eine Reise nach Bulgarien unternehmen. Dort gibt’s so schöne Frauen, ich sage Ihnen  … « Er schüttelte den Kopf, offenbar in wohltuende Reiseerinnerungen versunken. »Die Polizisten sind dann rein, die Tür war gar nicht abgeschlossen.«
    Ich besah die Klinke meiner viel zu dünnen Wohnungstür und nahm mir vor, sie durch einen Drücker zu ersetzen.
    »Und das, wo es dauernd Einbrüche in der Gegend gibt«, sagte er.
    »War er denn nicht so gut zu Fuß, der arme Herr Richter?« Ganz automatisch wechselte ich zum Undercover-Verhörmodus. Wieder einmal.
    »Ach woher. Den haben wir alle beneidet. Der Franz war topfit. Im Turnsaal in der Volksschule haben wir uns immer getroffen. Altherrenturnverein. Sogar einen Trainer haben wir.« Er seufzte und zog die Mundwinkel kurz nach unten. »Es werden immer weniger. Bald können wir nicht einmal mehr Karten spielen, weil alle sterben. Wir haben für einen Kranz gesammelt. Vielleicht schauen Sie einmal hin. Gleich hinter der Kirche«, sagte er traurig.
    »Das werde ich machen.«
    »Ach ja, einen Partezettel hab ich noch. Hier.« Willi Weichselbaum drückte mir ein kleines, einfach gefaltetes Kärtchen in die Hand. »Passen Sie auf«, wisperte er, und zeigte auf eine geschlossene Wohnungstür, »der Gruber kontrolliert immer, ob geputzt wird.« Und mit lauter Stimme: »Also dann. Hat mich gefreut.«
    »Ja, mich auch«, sagte ich. Herr Weichselbaum hüpfte die Treppe nach oben. Ich faltete das Kärtchen auf.
    Zum Gedenken. Franz Richter, 12. 7. 1942–28. 1. 2012. Und ein Foto, auf dem er viel jünger aussah als siebzig. Scharf geschnittenes Gesicht, kurzes Haar, eindringlicher Blick. Wahrscheinlich aus einem Führerschein kopiert. Ich drehte das Kärtchen um. Auf der Rückseite stand: »Karlis Anglerbedarf. Alles für den Sportfischer.«

    *

    Nunmehr vollständig angezogen spazierte ich über die leere Hauptstraße zur imposanten Kirche. Aus Spalten zwischen den massiven Steinblöcken der Kirchenmauer flogen Vögel ein und aus. Gezwitscher aus den
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