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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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sie mir natürlich, hatte ich doch so ein cooles Styling komplett, zusammen mit der Wrangler. Sah beschränkt aus, aber war markenbewusst.
    Herr Urban trug auch grau und blau. Und sogar eine dunkelblaue Krawatte mit hellblauen Punkten. Er schien ein wenig verhuscht zu sein, dachte ich bei der Begrüßung. Passt ja, wir würden Freunde werden, schließlich war ich ja damals auch nicht gerade eine Ausgeburt an Temperament.
    „Wissen sie denn, was in der Briefausgabe gemacht wird?“ war seine erste Frage an mich. Ich war mir nicht sicher, ob das jetzt ein Test war und uns das bereits in der Schulwoche erklärt worden war, ich aber nur mal wieder nicht hingehört hatte … wie das in den  nächsten zwei Jahren meist der Fall war, weil ich immer damit beschäftigt war, die Sekunden zu zählen, die ich noch absitzen musste, bis ich endlich wieder den Weg von der BBi zum Bahnhof antreten konnte. (Der Unterricht begann um acht, um sechzehn Uhr war Schluss … ich zählte also jeden Freitag von 28800 runter auf null – da konnte ich unmöglich noch dem Lehrbeamten Aufmerksamkeit schenken!)
    „Äh … nein … nicht so richtig …“, stotterte ich ihn also an.
    „Nun … hier wird die Post in die Postfächer verteilt. Wir unterscheiden zwischen Kleinabholer und Großabholer.“, erklärte Urban mir. Sehr interessant, klein und groß, wie im richtigen Leben… Und wo war jetzt Arbeit für mich???
    „Wir fangen aber mal damit an …“, sagte er dann und stellte mir fünf graue Plastikkisten auf einen Tisch, der neben mir stand.
    „Setzen sie sich mal“, forderte er mich auf. „Das sind Postkarten. Die haben die Leute ausgefüllt und ihre Lösungen für Preisausschreiben darauf geschrieben. Für unterschiedliche Preisausschreiben…“.
    Mir schwante Böses… Denn erst jetzt sah ich, dass jede dieser Kisten vollgestopft war mit dünnen Postkarten, die aber alle unterschiedlich aussahen.
    „Die hier“, und er zog ein paar der bunten Dinger aus einer Kiste, „sind zum Beispiel für Persil. Und da ist eine, die ist für ein Ariel-Rätsel … Das ist Pril … und, aah, guck an, der Meister Proper hat auch wieder eins laufen!“
    Er bekam vor Be geisterung eine feuchte Hose. Ich feuchte Augen.
    Sollte das der Start in meine Postkarriere sein? Irgendwelchen Omis dazu verhelfen, dass sie vielleicht einen Jahresbedarf Ariel gewinnen oder einen echten Goldbarren mit Persil-Schleife, weil ich ausgerechnet ihre Karte in den richtigen Stapel einsortiert habe?
    Nein, das konnte es doch nicht sein! Das war nicht deren Ernst! Hallo??? Ich kam nicht von der Sonderschule – ich hatte immerhin Mittlere Reife!
    Aber was sollte ich machen? Wen sollte ich um Hilfe anschreien? Ich nahm also Platz … morgens um sechs Uhr in Deutschland … mutterseelenallein in einem tristen Postamt… unter lauter grau-blauen Menschen. Ich, der arme Azubi, der von einer Karriere als Postminister träumte – und jetzt Preisrätselkarten sortieren musste.
    Die Welt war einfach nicht gerecht. Warum hatte ich auch kein Abitur mehr machen wollen? Okay … ich hätte es eh nicht geschafft – aber zumindest hätte ich an diesem beschissenen ersten Arbeitstag wie meine Ex-Klassenkameraden noch schön im Bett liegen können. Aber nee …
    Was nützte das Heulen? Da musste ich jetzt durch. Ich hatte mich also mit meinem Schicksal abgefunden und sortierte fleißig die Karten. Zumindest sollte Herr Urban ja denken, dass ich Spaß bei der Arbeit hätte. Also zwang ich mir sogar ein Lächeln ab, als er zwischendurch fragte, ob es mir gefiele. Obwohl ich Mordgedanken hatte. Aber kam das gut, wenn man gleich am ersten Tag ein Blutbad anrichtet? Nein, diese Option wollte ich mir für später aufsparen … man wusste ja nicht, was da  noch so alles kommt in den nächsten vierundzwanzig Monaten.
    Die Zeit verging also, und auf einmal sah ich ein bekanntes Gesicht in der Halle: Das war doch der Dieter! Aus meiner Azubi-Klasse. Dieter und ich waren ein Jahrgang, beide zarte sechzehn Lenze alt. Das hatte der Herr Silber gleich am Einstellungstag festgestellt. Und dass wir damit die Jüngsten in der Klasse sind.
    Dieter wurde von Herrn Urban an meinen Tisch geführt.
    „Na dann setzen sie sich mal dazu . Ihr Kollege erklärt ihnen, was sie tun können.“
    ‚Oh ja, Dieter! Du wirst vor Vergnügen quieken !‘,  dachte ich, und erläuterte meinem Leidensgefährten die Sache mit den Preisrätselkarten. Und richtig: Seine Gesichtszüge entgleisten. Wie wahrscheinlich
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