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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden
Autoren: H Kuhn
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Thomas Frantz im Ring zu vielen aufregenden Nahtoderfahrungen verholfen. Aber Frank ist Halbschwergewichtler. Der dicke Daniel ist Schwergewicht wie Thomas Frantz und damit häufiger Gegner.
    Der dicke Daniel ist ein Schmutzboxer. Schnell, intelligent, unsauber. Er lässt einen immer schlecht aussehen. Man nennt diese Boxer auch Stinker. Für einen solchen Stil muss man was vom Boxen verstehen und das Beste aus seinen Defiziten machen – im Fall des dicken Daniel: Zwergwuchs. Den Takt des anderen zu zerstören und seine Aktionen zu unterbinden, um selber zu treffen, kann auch gutes Boxen sein. Sieht halt scheiße aus. Vor allem für den anderen.
    Sein Stil ist völlig unorthodox. Er verwendet die fiesesten Kombinationen. Rechter Körperhaken, sofort gefolgt vom rechten Kopfhaken. Ohne Anwendung der Linken. Die Tyson-Kombination. Völlig arrhythmisch, und man deckt natürlich nach der ersten Rechten automatisch die linke Seite ab. Oder die Kombination Jab, rechte Gerade, rechte Gerade, Jab. Auch arrhythmisch, und er legt die Wucht erst in die zweite Gerade. Damit knackt man jede Doppeldeckung. Die zweite Rechte geht immer durch. Nach der Aktion kugelt er sich sofort ein. Seine muskulösen Arme versiegeln die gesamte Trefferfläche am Körper bis auf einen schmalen Streifen Bauchspeck über der Gürtellinie, während seine listigen kleinen Augen über den Handschuhen auf die geringste Blöße lauern. Für ihn ist die Verteidigung der bessere Angriff. Sie verbraucht weniger Kraft. Verteidigen heißt nicht: auf den Schlag warten. Verteidigung heißt: flexibel manövrieren. Der dicke Daniel ist praktisch ein Guerillakämpfer. Ein Vietcong, der sich in eine Erdhöhle gräbt und wartet, bis der Bombenteppich verraucht ist. Man kann ihn überhaupt nicht vorausberechnen. Nur ahnen, was er vorhat. Gern schlägt er auch den rechten Cross von oben runter, ganz und gar ohne Jab und Warnung, und gleich darauf unten links die kurze Rippe rein. Dann windet er seinen Körper wie einen Schraubstock und quirlt mit den Armen, bis man in den Seilen hängt und überhaupt nicht mehr weiß, wo rechts und links ist. Thomas Frantz hat das schon oft erlebt.
    Ebenso schräg ist sein Schachspiel. Es ist voller Fallen. Er spielt auf Seekadettenmatt, Königsgambit und versucht sogar das Schäfermatt. Als Frantz begriffen hatte, wie er das Königsgambit vermeiden konnte, indem er nicht den e-Bauern zwei Felder vorzog, sondern Bauer c6 spielte, damit aber ungewollt Caro-Kann einleitete, war er wieder nach nur sechs Zügen matt gewesen. Der dicke Daniel hatte im fünften Zug einfach die Dame vor den König gesetzt, um die Sache im nächsten durch Springer d6 perfekt zu machen. Frantz hatte übersehen, dass sein e-Bauer gefesselt war. Der dicke Daniel grinste. Er vertraut darauf, dass sein Gegner die Fallen nicht kennt. Das klappt. Thomas Frantz ist oft der Verzweiflung nah. Er ist kein allzu guter Schachspieler, viel zu sehr verlässt er sich auf spontane Eingebungen und kennt sich in der Schachliteratur überhaupt nicht aus. Der dicke Daniel schon. Frantz hat das begriffen und einige Partien studiert, hasst aber nach wie vor Daniels ewige Springergabeln. Frantz besucht einmal in der Woche den Unterricht. Den gibt ein blonder Junge, der Großmeister ist und dessen Name in der Schachwelt mit Ehrfurcht ausgesprochen wird. Frantz versteht nicht immer, was der Junge an der Magnettafel tut. Aber er lernt, so gut er das noch kann.
    Schachboxen ist nicht irgendein Hybridsport wie Biathlon oder Iron Man. Es ist nicht einfach eine Kombination aus Sportarten, die nichts oder nur wenig miteinander zu tun haben. Es ist keine Verrücktheit wie Crosseinradfahren oder alpines Extrembügeln, keine Dummheit wie Melonenkerne weitspucken, während man auf einem wütenden Bullen sitzt. Es geht um Kontrolle, um den nächsten Zug. Zwölf Minuten. Das ist das Zeitlimit im Schnellschach. Zwölf Minuten für die Summe aller Züge. Man muss schnell ziehen, aber nicht hektisch. Man muss entschlossen manövrieren, aber nicht aus dem Bauch heraus handeln. Man muss ohne zu zögern im nächsten Moment zuschlagen, aber die Aggression im Ring kontrollieren. Man muss lernen, nicht getroffen zu werden und die richtige Kombination im richtigen Moment zu schlagen.
    Als er mit dem Schachboxen begann, hatte sich Thomas Frantz noch bei seinen Gegnern entschuldigt, wenn er sie aus Versehen getroffen hatte. Frantz hatte versucht, sich zu decken, so gut es ging, und er schlug seine Jabs mit
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