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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden
Autoren: H Kuhn
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mit der Linken. So! Siehst du? Schön trocken. Im Eifer des Gefechts eine ganz fiese Nummer.«
    Der dicke Daniel wiederholt die Demonstration des Leberhakens. Er tänzelt seiner enormen Masse zum Trotz ausgenommen leichtfüßig einen Halbkreis und jabbt. Selbst Jesus unterbricht für einen Moment seine Schläge und wirft einen anerkennenden Blick auf den ersten Trainer.
    »Du beschäftigst den Gegner oben ganz fleißig, der zieht natürlich die Doppeldeckung hoch und zusammen, du siehst ihm genau in die Augen, du haust mal ’ne Rechte, so …«
    Der dicke Daniel schlägt eine rechte Gerade.
    »… dann lässt du die Linke einfach fallen, merkt der gar nich, sieht der gar nich, und ziehst sie kurz aus der Drehung rüber zum Rippenbogen. So! Noch mal: Das ist keine Frage der Kraft. Wenn man die Leber genau trifft, dauert es ein paar Sekunden, und es zieht ein bestialischer Schmerz durch den ganzen Körper. Ist auch was Feines für die Kneipe, meine Herrn.«
    Gelächter.
    »NO!«
    Jesus ist mit zwei Sprüngen neben Daniel gelandet.
    »NO NO NO!«
    Er sieht die Schachboxer wild gestikulierend an.
    »Was habe i gesagt? He? Hab i gesagt, linke Hake ist wie rechte Hake mitte Drehung! He? Immer mitte Drehung!«
    Jesus schlägt wieselflinke Haken in die Luft. Oberkörper und Hüften stehen beim Abstoppen der Faust in einem Winkel von ziemlich exakt 90 Grad zu ihrer Ausgangsposition.
    »So! So! Y so! Und wenn i hier bin, kann i glei rechte Hake schlagen: so! Y so! Ra-ra-ra-ra! Eh?«
    Jesus grinst.
    »Äh ja, gut. Hört auf Jesus. Also acht. Welche Organe haben wir noch? Nieren? Nein, Otto. Der Nierenschlag ist verboten, aber es bleiben noch der Milzhaken, rechts, und neun, der Magen. So. Und jetzt an die Geräte. Jeder sucht sich ein Gerät. Nach jeder Runde wechseln wir das Gerät. Bandagen wickeln, Handschuhe an. Wer in zwei Minuten nicht am Gerät steht, macht 40 Liegestütze. Zeit läuft!«
    Der dicke Daniel klatscht in die Handschuhe. Jesus trollt sich wieder an sein Gerät. Die Schachboxer keuchen, sie sind noch außer Atem vom Aufwärmtraining. Es sind ungefähr vierzig an diesem Abend. Darunter ein Drittel Frauen. Freischaffende Anwälte, Webdesigner, Journalisten. Alle schwitzen. Praktikanten, Studenten, mies bezahlte Dozenten. Manche sehen aus, als hätten sie mitsamt Sportkleidung gebadet. Künstler, Kulturmanager, auftragslose Architekten. Alle mit Anfang dreißig schon fast am Ende. Schauspielerinnen, Teilzeitinformatiker. Die gesamte Palette. Alle, die sich irgendwie in einer prekären Situation befinden und nicht wissen, was nächste Woche ist. Schachboxen ist ihre Strategie. Nicht im Sinne von Clausewitz. Im Sinne von Tyson. Der dicke Daniel haut noch mal in die Handschuhe. Alle flitzen zu ihren Sporttaschen und wickeln ihre Bandagen. Schachboxen ist ihre Kommunikation. Nicht im Sinne von Du. Im Sinne von Ich.
    Das Aufwärmtraining dauert eine halbe Stunde. Seilspringen, Situps, Liegestütze, Scherensprünge und Hampelmänner. Immer im Wechsel. Joggen vom Schachschrank zum Ring und zurück. Kniehebelauf, Anfersen, um die Sandsäcke herum, wobei Hopser-, Seiten- und Rückwärtslauf einhergehend mit kontrapunktischem Armkreisen und verschiedenen Schlagkombinationen geübt werden. Dreißig Minuten ohne Pause. Am Ende zerstört der dicke Daniel mit der Ankündigung einer dreiminütigen Schubkarrenjagd jede Hoffnung auf Erholung. Diejenigen Teams, die von ihren Verfolgern eingeholt werden, haben 40 Liegestütze zu absolvieren.
    Der dicke Daniel ist ihr Trainer. Jesus ist der zweite Trainer. Er hat das Boxen in Havanna auf dem Schulhof gelernt. Mehr als 400 Kämpfe hat er bestritten. Vom Boxerinternat bis nach Montreal und Ostberlin. Er hat Leute trainiert, die gegen Holyfield, Botha und Klitschko angetreten sind. Jetzt ist er fast sechzig, und er lebt von diesem Minijob in einer Einraumwohnung in Marzahn. Der dicke Daniel ist hoch bezahlter Medienconsultant. Jesus und der dicke Daniel können sich nicht leiden. Jeder weiß es besser. Der dicke Daniel ist ein kühler Kopf. Jesus boxt mit Liebe.
    Manchmal macht Anti-Terror-Frank das Training. Anti-Terror-Frank ist der Weltmeister, und dann ist das Training härter. Anti-Terror-Frank bildet in Afghanistan Polizisten aus. Er duldet überhaupt keine Mätzchen. Wer jammert, hat noch vierzig Prozent, sagt er. Schlappmachen ist keine Option. Frank hat im Training wenig Humor und überhaupt kein Verständnis. Jede Anti-Gehorsam-Haltung wird umgehend geahndet. Frank hat
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