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Gehoere ich halt nicht dazu

Gehoere ich halt nicht dazu

Titel: Gehoere ich halt nicht dazu
Autoren: Johannes Angerer , Miriam Koch
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nichts und ni e manden. Nicht einmal mich.
    Ich hatte niemals zuvor einen toten Leib berührt. Zumindest nicht bewusst. Zumindest nicht von einem W e sen, das größer als Ameisen und Mücken ist. Nicht die Kälte der Leiche stand im Vordergrund als ich sie berührte. Es war vielmehr die bla n ke Leere. Toter Körper ist Verpackung, das wurde mir mit einem Schlag bewusst. Die Verpackung macht nur ganz wenig des gesamten Lebewesens aus. Im Tod noch viel weniger als im Leben. Aber wo ist das viele Leben plötzlich hingekommen, hab ich mich gefragt? Gefühlt habe ich es auch im Umkreis des Altpapier-Containers. Im Geziefer im Müll. Im na s sen Dreck an den Wänden. Auch in den Menschen, die sich dort in der Nähe aufhielten. Jene Me n schen, die ihre Prospekte direkt aus dem Postkasten in dem Müll warfen. Und überall sonst. Im ganzen Raum. Bloß nicht in der Leiche selbst. Vie l leicht ist das Leben Luft geworden. So wie Liebe Luft wird, wenn man sich nicht mehr liebt. Stinkige, stickige Luft. Lust hatte ich. Geliebt habe ich nie. Es hat mich ja auch niemand jemals geliebt.
    Mein bester Freund heißt pitpuff69. Ich habe ihn vor Jahren im Internet kennen gelernt. Wir haben uns oft geschrieben. Er fand, ich sollte mehr unter die Leute gehen. Besserwisser. Aber wenigstens war er erfr i schend zynisch. Ich glaub, er mag Menschen im Allgemeinen auch nicht. Wir haben uns stundenlang unterhalten. Vor dem Computer. Von Mensch zu Mensch. Viele Jahre habe ich im Inte r net nur gesurft. Bilder geschaut. Filme gesehen. Spiele gespielt. Ich wollte nicht angesprochen werden und wollte niemanden anspr e chen. Ich wollte nur beobachten. Still und heimlich mit dabei sein, wenn die anderen leben. Ich kleiner Spion, ich. Als Kind habe ich oft davon geträumt, wie schön es wäre, wenn die Welt eine Pause einlegen würde, sobald ich das will. Ich würde auf der Fernbedienung PAUSE drücken. Die Welt würde sich au f hören zu drehen. Alle Menschen würden auf meinen Knop f druck hin stoppen. Wie bei so einem Flashmob. Freeze. Aber eben alle Menschen. Außer mir natürlich. Ich könnte mir dann in Ruhe alles ansehen. Ich könnte locker auf die Menschen zugehen. Ich könnte mir alles an ihnen ganz genau ans e hen. Und sie ertasten. Ich könnte riechen an ihnen und mich abwenden, wann ich es will. Ohne zu fragen, ohne mich zu entschuldigen, ohne mich zu verabschieden. Eben ohne die ga n ze falsche Scheiße. Einfach echt. Und neugierig. Ich würde die Welt dann natürlich wieder einschalten. Wie oft würde ich die Pause-Taste wohl dr ü cken? Ich weiß nicht. Wann immer ich Lust dazu hätte. Hauptsache Kontrolle. Über alle. Und keiner von di esen Ärschen würde mir dann weh tun können. Ich würde nicht gefragt werden. Ich würde nicht kontrolliert we r den. Ich würde ihnen im Gegenzu g wahrscheinlich auch nicht weh tun. Ich wäre wohl so was wie gnädig. D a mit sie mich später bemerken, achten und dankbar lieben. Und vielleicht ernennen sie mich ja zu ihrem K ö nig.
    Meine Mutter ist eine dumme Frau, ein fettes Monster mit Milliarden Macken. Sie lebte nach dem Motto "Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen", aber im materialistischen Sinn. Das heißt, sie kaufte gerne ein. Am liebsten bei Frigo, dem Tempel der Volltrottel. Sie las Prospekte als seien das wissenschaftliche Bücher, studierte Sonderangeb o te, Woche für Woche sah ich sie gebeugt über den Werbungen si t zen. Dann brachte sie alle möglichen Sachen heim, die praktisch sein sollen. Praktisch sinnlos, fand ich. Pra k tisch unbrauchbar. Meine Wohnung sieht auch jetzt noch wie ein Kaufhaus aus, weil viele Dinge, die sie g e kauft hat, gar nicht ausgepackt wurden. Ich sollte alles aus dem Fenster werfen.
    "Jede Woche ein neues Leben " verspricht Frigo auf seiner Website. Eine neue Mutter wurde mir nie geliefert. Sie blieb immer die gleiche. Auch wenn sie so viele Diäten machte, dass ich mit fünf Ja h ren mehr Diäten beim Namen kannte als Kinderbücher. Auch wenn sie sich alle paar Monate beim Friseur radikal verändern ließ. Sie hat sich selten ähnlich g e schaut und doch war sie immer dieselbe.
    Manche sagen, ich sehe aus wie sie. Immer dann hab ich das Bedürfnis, zum Friseur zu gehen, radikal meinen Typ zu ä n dern, mir eine Glatze scheren zu lassen oder die Haare blond zu färben. Ich will nicht so sein wie sie! Ich will, dass sie bleibt, wo sie ist: weit weg. Ich will sie nicht spüren.
    Manchmal glaube ich, ich könnte beginnen, meine
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